Von Ingrid Knack
BACKNANG. Wenn Simone Scholten auch seit diesem Monat nicht mehr für die Stadt Backnang arbeitet, war sie doch an der Planung der Ausstellungen 2016 beteiligt, entwickelte das Programm bis Ende des Jahres fürs Graphik-Kabinett im Helferhaus. „Kopf und Kragen“ heißen die Werkschauen vom 9. November bis 12. Februar 2017 in beiden Häusern, bei denen sie die Finger im Spiel hat. Der älteren Porträtgrafik bis zurück in die Renaissance im Helferhaus stehen Porträts in der aktuellen Kunst gegenüber, die in der Galerie der Stadt Backnang nebenan gezeigt werden.
Das Projekt ist symptomatisch für die Arbeit Scholtens: Sie richtete ihren Blick immer auf die „tollen Möglichkeiten der beiden Häuser“, war hier und dort Ansprechpartnerin für Künstler und Besucher. Bei ihren Vernissagereden vermittelte sie auch schweren Stoff leicht und unterhaltsam und weckte bei Führungen die Lust, sich näher mit den Exponaten und den Urhebern zu beschäftigen.
Als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kunstbereich war die Leiterin des Graphik-Kabinetts auch mit zuständig für die Städtische Kunstsammlung, Kunst im öffentlichen Raum und die Münzsammlung – 1999 hatte Eugen Bort aus Waldrems der Stadt seine über 5000 Exponate umfassende Sammlung von Münzen und Medaillen gestiftet.
Bürger durften die Exponate
für die Geburtstagsschau aussuchen
Eines der Highlights in den vergangenen sieben Jahren war für Simone Scholten die Ausstellung 2012 zum 10-jährigen Bestehen des Graphik-Kabinetts. Die Einrichtung wurde kurzerhand zum „Kabinett der Bürger“ erklärt, Bürger der Stadt durften eine Ausstellung nach eigenem Geschmack zusammenstellen. Wer wollte, konnte dafür eine Grafik aus den Kunstsammlungen der Stadt Backnang auswählen.
„Beim Graphik-Kabinett war’s mir wichtig, dass man das Feld öffnet“, sagt Scholten. Der „wunderbare Fundus der Riecker-Sammlung“ lasse viele Anknüpfungswege offen. So kam es beispielsweise 2014 zum Projekt „Printing Matters – Printing Matters!“ unter Leitung von Katja Davar, Künstlerin und Professorin an der Fachhochschule Mainz. Mit ihrer Klasse durchstöberte Davar die Riecker-Sammlung, einige der Grafiken wurden zur Initialzündung für eigene Arbeiten. Auf Davars Anregung hin öffneten auch aktuelle Künstler ihre Schränke und stellten Arbeiten zur Verfügung, teilweise entstanden diese extra für die Backnanger Ausstellung. „Extrem spannend“, findet die Leiterin des Kabinetts.
Dass Grafik „nicht nur die ganz hohe Kunst“ sein muss, rückte Scholten mit Comic-Ausstellungen ins Bewusstsein nicht nur der kulturbeflissenen Bürger. 2012 durften die Backnanger „Comics, Filme, Träume“ von Winsor McCay genießen. Sammler, Kunsthistoriker, Künstler und Kurator der Backnanger Ausstellung, Alexander Braun, wurde zwei Jahre nach dem großen Erfolg wieder eingeladen. Nun ging es um die Geschichte des nordamerikanischen und europäischen Comic-Westerns.
Auch die Ausstellung „Passio und Compassio – Vom Leben und Sterben der Heiligen“ (2011) war etwas ganz Besonderes. Anhand von zirka 120 Werken aus dem 14. bis 21. Jahrhundert wurden Märtyrer, Einsiedler oder Mönche, direkte Weggefährten Christi oder Künder seiner Lehren vorgestellt. So erfuhr der Besucher beispielsweise, warum der heilige Hieronymus von einem Löwen begleitet wird, der heilige Laurentius einen Grillrost in den Händen hält, und dass der heilige Franz von Assisi den Vögeln predigte. Erstmals wurden dabei in eine Ausstellung des Graphik-Kabinetts Werke der zeitgenössischen Kunst miteinbezogen. Damit traten sie mit den Beständen der Ernst-Riecker-Stiftung in einen Dialog. Die einem stetigen Wandel unterliegenden Formen des Umgangs mit Heiligen und den Vorstellungen des Religiösen wurden reflektiert. Dabei sei stark diskutiert worden, „ob Religion Thema in der zeitgenössischen Kunst ist“, erinnert sich Scholten.
Schon als Jugendliche hatte Simone Scholten ein Faible für die Kunst. Prägend waren Ausstellungsbesuche zusammen mit ihren Eltern oder mit ihrer Klasse und einem Lehrer, der selbst Künstler war, „und uns für diese Themen begeistern konnte“. Eine Rolle spielte zudem ihre Heimatstadt Kleve am Niederrhein. Dort wuchs Joseph Beuys auf. In Kleve hatte er von 1957 bis 1964 ein Atelier. In der Sammlung des Museums Kurhaus ist er vertreten. „Dieses Thema war immer sehr präsent, man hat sich stark damit auseinandergesetzt.“ In Kleve lebte Scholten noch, als der Aktionskünstler in den 1980er-Jahren starb.
In Trier und Bonn studierte Scholten Kunstgeschichte, christliche Archäologie und Städtebau. Selbst einen künstlerischen Beruf zu ergreifen, war für sie kein Thema. „Ich habe schon ein bisschen gezeichnet und mich immer sehr für Fotografie interessiert und Fotos gemacht.“ Aber nur privat. Die Kunst hat sie „eher immer theoretisch interessiert, weil ich fand, dass sie einem die Möglichkeit gibt, sich mit sehr vielen Themen zu beschäftigen, auf die man sonst vielleicht gar nicht kommen würde“.
Außergewöhnlich waren ihre Praktika. In Trier musste sie den Nachlass einer Schützengilde inventarisieren, für das Schützensilber konnte sie sich allerdings nicht so sehr erwärmen. „Das war aber eine gute Schule, sich solche Sachen anzugucken und den Blick zu öffnen und zu sehen, worauf man alles achten und für was man sich alles begeistern kann.“ Und: Der Museumsleiter nahm sie mit zur internationalen Kunst- und Antiquitätenausstellung Tefaf im holländischen Maastricht. „Er musste Fälschungen heraussuchen, eine Arbeit, bei der ich als Zweitsemester völlig aufgeschmissen war, da etwas zu beurteilen.“
Ihre Zeit an der Bonner Universität verbrachte Scholten nicht nur mit theoretischen Studien. Als die Bundeskunsthalle eröffnet wurde, nutzte sie auch ganz praktisch, dass sie direkt vor der Haustür „ein riesiges Spektrum an Kunst präsentiert“ bekam, und machte dort ziemlich schnell Führungen. Bevor sie ihr Studium abschloss, war sie noch jeweils ein halbes Jahr in Rom und Florenz.
All diese Erfahrungen machten sie offen „für alle möglichen Sachen“. Dass sie in Backnang sowohl mit aktueller Kunst als auch mit alten Meistern zu tun hatte, passt gut zu ihr. „Meinen Abschluss habe ich zwar in mittelalterlicher Kunstgeschichte gemacht, aber ich bin von vornherein zweigleisig unterwegs gewesen und habe mich immer auch für zeitgenössische Kunst interessiert und das auch verfolgt.“ Schon bald fing sie an, bei Ausstellungseröffnungen Reden zu halten und „Katalogtextchen“ zu schreiben.
Magisterarbeit über Kleinplastik
an flämischen Frauenklöstern
Nach einem kurzen Ausflug in die Denkmalpflege – sie war bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz im Organisationskomitee – war ihr aber klar, „dass ich doch gerne näher an die Kunst und an die Werke heranmöchte“.
Es folgte ein Volontariat im Museum Kurhaus in Kleve, das Haus war gerade erst seit einem Jahr eingerichtet, und es galt, Pionierarbeit zu leisten. Scholten war nicht nur in Pressearbeit und Kataloggestaltung eingebunden, sondern durfte direkt eine eigene Ausstellung machen. Dort fand sie mit den „mittelalterlichen Skulpturen, die sehr stark an die niederländische Skulptur angebunden sind“, einen Anknüpfungspunkt an ihre Magisterarbeit über „Kleinplastik aus flämischen Frauenklöstern“. Gleichzeitig gibt es in diesem Museum eine riesige Sammlung zeitgenössischer Kunst. „Diese Mischung fand ich schön. Die habe ich im Prinzip auch in Backnang gefunden.“ Nach dem Volontariat kam Scholten zu „germinations europe“, einer Vereinigung, die sich um die Förderung junger europäischer Künstler kümmerte. 16 europäische Länder waren zum Schluss beteiligt. Das Projekt war zunächst in Bonn beim deutsch-französischen Jugendwerk angesiedelt. Als dieses nach Berlin umzog, wurde der Sitz von „germinations europe“ nach Antwerpen verlegt. „Weil ich niederländisch spreche, haben sie mich mitgenommen.“ Anderthalb Jahre lebte Scholten in Antwerpen, „dann ist das Projekt, das von EU-Mitteln lebte, leider eingeschlafen“.
Bei der ifa-Galerie in Bonn übernahm Scholten die Leitung. Als neben dem Hauptsitz Stuttgart nach der Wiedervereinigung noch Berlin hinzukam, war klar, „irgendwann musste eine Galerie geschlossen werden, das war dann die Bonner“. Nach anderthalb Jahren ifa-Galerie bekam Scholten die Chance, an die Bundeskunsthalle zu wechseln für zwei große Ausstellungsprojekte: „Kunst in Frauenklöstern“ und „Barocke Kunst im Vatikan.“ „Dann kam Stuttgart–beziehungsweise meine Tochter und Stuttgart“, lacht die Kunsthistorikerin. In der Landeshauptstadt leitete ihr Ehemann die Kunstvermittlung an der Staatsgalerie.
Bevor Scholten nach Backnang kam, arbeitete sie anderthalb Jahre am Dominikanermuseum in Rottweil – auch so eine Pionierarbeit-Geschichte. Dann sah sie die Ausschreibung der Stadt Backnang. Die Galerie kannte sie schon. „Wir waren auf das gute Programm aufmerksam geworden, als wir noch in Stuttgart waren. Wir sind durch das Gebäude gelaufen, ich habe auch das Büro gesehen und dachte – das wäre toll, hier zu arbeiten.“ Nun hat sie das Büro geräumt. Der Weg für einen Nachfolger ist gut bereitet.