Von Marina Heidrich
MURRHARDT. Lange vor Siegfried und Roy, David Copperfield und Hans Klok verzauberte ein Mann die ganze Welt: Kalanag. Schillernd, geheimnisvoll und voller Gegensätze zog diese Figur auf den großen Bühnen von vier Kontinenten die Menschen in ihren Bann. Viele Tricks, die heute Standard sind, wurden vom Meister der Illusion entwickelt. Mit einer Reihe bildhübscher Tänzerinnen, einem eigenen Orchester, einem zahmen Geparden, seiner eleganten blonden Assistentin Gloria und einer unglaublichen Bühnenpräsenz schuf Kalanag Shows, die an große Hollywood-Revuen erinnerten, sowohl was Ausstattung, Kostüme als auch den finanziellen Rahmen betrafen.
Die Welt war buchstäblich verzaubert von diesem Mann, der hinter den Kulissen wie ein Oberlehrer aussah und mit großer Brille und schütterem Haar sogar leicht an Heinz Erhardt erinnerte. Von Beginn der Fünfziger bis zu seinem Tod 1963 war der Name Kalanag ein weltweiter Begriff. Und nur die wenigsten wussten, dass es sich um den gebürtigen Stuttgarter Helmut Schreiber handelte.
Mit dem Hobby Zauberei
Start zu einer neuen Karriere
Schreiber war während des Dritten Reichs Produktionschef der Münchner Bavaria Filmstudios. Nach Kriegsende erhielt er in diesem Bereich ein Berufsverbot. Schreiber besann sich auf sein bisheriges Hobby, das er nebenbei immer gepflegt hatte: die Zauberei. Und startete eine einzigartige Karriere. Der Mensch Helmut Schreiber war stets umstritten – der Zauberer Kalanag jedoch gehörte definitiv zu den Größten seiner Zunft.
Als Altersruhesitz ließ sich Kalanag am Waldsee in Fornsbach, einem Teilort der Stadt Murrhardt, eine kleine Villa bauen. Nur drei Jahre lebte er dort, dann starb der Lebemann, der gutem Essen, edlem Wein und schönen Frauen nicht abgeneigt war, an Heiligabend 1963 mit gerade einmal 60 Jahren an Herzversagen. Doch seine Legende existiert weiter – genauso wie das schöne und außergewöhnliche Haus am Waldsee. Hier verwirklichte Kalanag seinen persönlichen Traum einer kleinen Hausbühne inklusive Geheimgang, wo er vor ausgesuchtem Publikum in exklusiver Runde hautnah zauberte.
54 Jahre nach Kalanags letztem Auftritt im Rahmen seines 60. Geburtstags fand jetzt eine ganz besondere Premiere statt: Magier und Illusionist Michael Holderried, der langjährige Präsident des IBM Deutschland (International Brotherhood of Magicians), übergab am Vortag der Show nach 25 Jahren seine Ämter an seinen Nachfolger und widmet sich künftig ausschließlich der Zauberei. Zum Auftakt und als Hommage an sein großes Vorbild stellte Holderried eine Show in der Villa Kalanags mit Originalrequisiten nach, in die er auch Eigenes einbaute.
Das Leben nimmt oft seltsame Wege: Kalanags Villa wurde nach mehreren Besitzerwechseln von Gabriele Schneider erworben. Deren 15-jährige Tochter Fenja sollte in der Schule ein Referat halten. Was lag näher, als über den berühmten früheren Besitzer des Hauses zu schreiben? Beim Recherchieren stieß die Schülerin auf den Namen Michael Holderried, der früher in Backnang das Kalanag-Museum leitete. Holderried besuchte die Familie, erzählte aus seinem reichen Wissensschatz, inspizierte den Geheimgang – und nach kurzer Zeit wurde die Idee geboren, die Exklusivshows auf Kalanags Wohnzimmerbühne wieder aufleben zu lassen. Maximal 25 Personen finden an kleinen Bistrotischen mit sehr gutem Blick auf die Wohnzimmerbühne Platz.
Die dreistündige Soiree wurde von den Anwesenden begeistert aufgenommen. Umgeben von Erinnerungsstücken in diesem ganz speziellen Ambiente und zugleich familiären Rahmen wurde der Figur Kalanag durch Holderried auf der Bühne Leben eingehaucht. Die Hausherrin Gabriele Schneider selbst legte letzte Hand an das üppige Fingerfood-Buffet, das zwischen den einzelnen Showparts geboten wurde. Und die bildhübsche Fenja durfte als Holderrieds Assistentin hautnah ihre Bühnenpremiere feiern; damit hätte die Schülerin nicht gerechnet, als sie sich das Thema „Kalanag“ für ihr Referat aussuchte.
Ab März dieses Jahres sind vier weitere Exklusiv-Soireen geplant, für die man Karten erwerben kann. Zur Premierenveranstaltung waren Vertreter großer Magazine und Zeitungen anwesend. Holderried zauberte in Hochform, als stünde sein Vorbild direkt hinter ihm; dabei streute er immer wieder Wissenswertes über Kalanag ein. Auch die bis heute ungeklärte und noch immer umstrittene Rolle Helmut Schreibers in der Epoche des Nationalsozialismus und der Zeit danach ließ er nicht aus.
Gabriele Schneider las aus der Biografie „Kalanag – der Magier erzählt sein Leben“ unter anderem eine amüsante Episode, wie Kalanag seinem zahmen Geparden Simbo in einem Hotelflur in Kopenhagen wegen der draußen herrschenden arktischen Kälte zum Entsetzen der Hotelgäste ausgiebig Bewegung verschaffte. Im Wintergarten der Villa am Waldsee waren zudem Fotowände und Vitrinen mit Originalutensilien von Kalanag aufgebaut. Darunter auch die Todesanzeige von 1963.
