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„Ich kann nicht übers Wasser gehen“

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Von Matthias Nothstein

WINNENDEN. Die Erwartungen an den neuen Chefarzt sind riesengroß. Er soll aus der viel gescholtenen Notaufnahme eine Visitenkarte des Klinikums mit großer Strahlkraft schaffen. Mit viel Vorschusslorbeeren wurde der Mediziner angepriesen. Und Klinikchef Marc Nickel freute sich diebisch, dass es ihm gelungen war, den Spezialisten aus dem benachbarten Klinikum Esslingen loszueisen. In der Vergangenheit sei es nämlich oft andersherum gelaufen – der Mitbewerber hinterm Schurwald habe viele Fachkräfte aus dem Rems-Murr-Kreis erfolgreich gelockt und angeworben.

Aber ausgerechnet der neue Chefarzt selbst streute jetzt mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht Zweifel an seiner Befähigung, diese Mammutaufgabe schultern zu können. Bei der offiziellen Eröffnung verriet er den geladenen Gästen zumindest: „Ich kann nicht übers Wasser gehen.“

Schade eigentlich. Denn genauso ein Typ scheint nötig zu sein, um aus dem Sorgenkind des Klinikums jene Vorzeigestation machen zu können, die Nickel und den übrigen Verantwortlichen so vorschwebt. Riesig ist nämlich die Diskrepanz zwischen dem, was Ade vorgefunden hat, und dem, was es einmal werden soll. Ute Ulfert, die stellvertretende Klinik-Aufsichtsratsvorsitzende, sprach von einer großen Verantwortung, die Ade habe, da die Notaufnahme gleich aus zwei Gründen heraus für das Winnender Haus essenziell sei. Zuerst, weil für viele Patienten die Notaufnahme die erste Anlaufstelle ist. In den vergangenen zwölf Monaten wurden knapp 47300 Patienten ambulant, stationär oder vorstationär in der Notaufnahme behandelt. Das sind fast 130 Patienten pro Tag. Und das sieben Tage die Woche rund um die Uhr.

Zweitens ist die Notaufnahme wichtig, weil sie seit dem Klinikneubau immer in der Diskussion war. Die Vorwürfe: zu lange Wartezeiten, unübersichtliche Priorisierung der Notfälle und mangelnder Service für die Rettungsdienste. Ulfert lobte die Klinikleitung, die auf die Kritik reagiert habe, „nicht zuletzt auf Drängen des Aufsichtsrats“. So wird zum einen derzeit die Notaufnahme umgebaut. Die Kosten dafür liegen laut Nickel „im hohen sechsstelligen Bereich“. Zudem wurde einiges umstrukturiert. Zum Beispiel: Der chirurgisch-orthopädische Notdienst der Notfallpraxis hat seit Juni an den Wochenenden und Feiertagen in den Räumen der Klinik seinen Platz. Dadurch wird die Notaufnahme entlastet.

Trotz all dieser Veränderungen ruht die größte Hoffnung jedoch auf dem Fakt, dass eine neue Chefarztstelle geschaffen wurde. Für Ulfert ist Ade als erfahrener Internist prädestiniert dafür, diese perfekt ausfüllen zu können. Unter anderem habe er mehrere Jahre lang als Leitender Arzt der zentralen Notaufnahme am Klinikum Esslingen Erfahrungen sammeln können. Nickel war darüber hinaus auch beeindruckt davon, dass Ade zehn Jahre lang als Kreisverbandsarzt für den Kreisverband Esslingen im Einsatz war. Denn die Kooperation mit den Rettungsdiensten und dem ambulanten Sektor ist neben der bereichsübergreifenden Zusammenarbeit mit allen Fachabteilungen des Klinikums für Nickel extrem wichtig. Der Ärztliche Direktor des Klinikums, Professor Dr. Ralf Rauch, würdigte in seiner humorvollen Begrüßungsrede ganz besonders, dass Ade schon vor seinem Amtsantritt in jener Kommission mitgearbeitet hat, die sich mit dem Umbau der Notaufnahme und allem, was dazu gehört, beschäftigt hat.

„Wir sind auf einem neuen Weg,

auf einem guten Weg“

Ängste, Sorgen, Unsicherheit – dies ist laut Ade die Gefühlswelt von Patienten, die in die Notaufnahme kommen. Als neuer Chefarzt betrachtet er es als seine Aufgabe, diesen Menschen Sicherheit zu geben, Zuverlässigkeit auszustrahlen und Ansprechpartner zu sein. Zwar ist er schon seit zweieinhalb Monaten im Amt, aber schon in der Zeit davor habe es immer geheißen, „wenn Dr. Ade erst einmal da ist, dann wird alles besser“. Diese Erwartungshaltung regte ihn zu der Klarstellung an, dass er nicht übers Wasser gehen könne. Gleichzeitig sieht er aber, was schon erreicht wurde. Sein Eindruck: „Wir sind auf einem neuen Weg, einem guten Weg.“ Die Notaufnahme ist seiner Meinung nach keine Abteilung wie jede andere, sondern ein Spiegelbild, „wir können nur so gut sein, wie die Abteilungen, die wir im Rücken haben“. Insofern waren und sind viele Absprachen nötig. Sein Fazit: „Wir werden sinnvolle Lösungen finden. Wir in der Notaufnahme können die Herausforderungen aber nicht alleine meistern.“

Die Einschätzung Nickels, mit Ade einen richtigen Spezialisten an Land gezogen zu haben, untermauern die Zusatzstudien des neuen Chefarzts. Der hat von 2008 bis 2010 den Studiengang „Management von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen“ an der TU Kaiserslautern und der Universität Witten/Herdecke belegt. Für seine Masterarbeit erhielt er die Note sehr gut. Deren Titel: „Sind Ersteinschätzungssysteme ein Mittel des Prozessmanagements in Zentralen Notaufnahmen?“ Damit nicht genug. Von 2014 bis 2016 studierte Ade an der Uni Münster Medizinrecht. Der Titel dieser Masterarbeit: „Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit zwischen Notaufnahme und Kassenärztlicher Vereinigung...“ Dass diese Zusammenarbeit sehr wichtig ist, verdeutlichte auch die Tatsache, dass die beiden Vorsitzenden der Ärzteschaften Backnang und Waiblingen, Wolfgang Steinhäußer und Markus Schuler, bei der Feier zugegen waren. Und wenn die Klinikfinanzen den Verantwortlichen starke Kopfschmerzen bereiten, dann sind auch sie bei Ade gut aufgehoben. Schließlich promovierte er über den „Einsatz von Benzodiazepinen bei depressiven Patienten“.

Musikalisch umrahmt wurde die Feier in der Cafeteria vom Syrinx-Trio mit Sabrina Hess (Querflöte), Joachim Hess (Violoncello) und Jochen Ferber (Klavier).


            Torsten Ade hat vor seinem Wechsel nach Winnenden viele Jahre lang die zentrale Notaufnahme am Klinikum Esslingen geleitet. Foto: E. Layher

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