Von Ingrid Knack
BACKNANG. Es ist nicht nur ein interessantes, sondern auch vergnügliches Eintauchen in die Geschichte Backnangs, wenn man den neuen von Peter Wolf zusammengestellten Bildband durchblättert: Köstlich die Fotografie Anfang der 1900er-Jahre mit dem Arzt Emil Dorn, der ein elektrisch betriebenes Auto fuhr. „Die Batterie ließ er immer wieder in der Adolff’schen Spinnerei aufladen“, heißt es in der Bildunterschrift. Wolf hat genauestens recherchiert und sogar herausbekommen, welches Kennzeichen das Gefährt hatte. Die Aufnahme führt auch vor Augen, dass die Anfänge des Autos mit der heute wieder viel diskutierten Elektromobilität untrennbar verbunden sind. Bevor sich der Verbrennungsmotor für Fahrzeuge durchsetzte, bestimmten Elektroautos das Straßenbild.
Eine Luftaufnahme zeigt das Areal der Lederfabrik Carl Kaess im Biegel Anfang der 1960er-Jahre. Die Gebäude stehen schon lange nicht mehr. „Ich sehe das Buch als einen Beitrag zum Erinnern. Dass nicht in Vergessenheit gerät, wie die Stadt einmal war. Außerdem möchte ich zeigen, wie sie sich verändert hat“, sagte Wolf. Besonders gut seien die Veränderungen am Biegel ablesbar. Zunächst standen dort die Gerberhäuser, dann siedelte sich die Lederfabrik an und schließlich folgte deren Abriss und eine Neubebauung mit Wohn- und Geschäftshäusern und dem Verwaltungszentrum.
Dem Fotodesigner geht es aber nicht nur um den Wandel der Bebauung, vielmehr bringt er anhand einer klugen Bildauswahl zum Ausdruck, wie die Alltags- und Arbeitswelt anno dazumal aussah. Momentaufnahmen wie die Anlieferung neuer Glocken für den Stadtturm (1950) wechseln sich ab mit Alltagsszenen: Da ist das Ehepaar, das auf der Straße läuft – der Mann zieht einen Leiterwagen hinter sich her. Alles sieht schwer nach Umzug aus.
Blättert man den Bildband durch, bekommt man so ganz nebenbei eine Fülle an Informationen, die Schlaglichter auf das Leben unserer Eltern und Großeltern richten – und das sah nicht nur in Backnang so aus.
Wie die Feuerwehr ausgerüstet war, erfährt man auf einem Bild aus dem Jahr 1924. Die Autofeuerlöschspritze würde heute jedes Museum zieren. Auf einer anderen Fotografie sieht man, wie am Backnanger Güterbahnhof Eichenrinde für den vegetabilen Gerbprozess abgeladen wird. Außergewöhnlich das Bild mit Bauarbeiten am Viadukt in schwindelerregender Höhe. Ferner finden sich Aufnahmen im Zusammenhang etwa mit großen Backnanger Firmen und Familienbetrieben (Handel und Gaststätten).
Auch der Freizeitbereich ist vertreten: Männer in Badehosen posieren im „Herrenbad“ oberhalb des jetzigen Murr-Stegs zur ehemaligen Haltestelle der Spinnerei. Auch den Frauen diente die Murr als Schwimmbad – an einem anderen Platz beim heutigen Mineralfreibad.
„Die alten Farbfotos gehen kaputt, man muss sie digitalisieren“
Man merkt dem Buch an, mit welcher Sorgfalt und Liebe zum Detail, zu den Backnangern und deren Geschichte die Aufnahmen und Einzelheiten aus der Historie zusammengetragen wurden. Peter Wolf hat darin jedoch bereits jede Menge Erfahrung. „Das Bild des alten Backnang, der Gerberstadt und der bedeutenden Industriezweige wie Straßenmaschinenbau Kaelble, die Spinnerei Adolff und das zuletzt hinzugekommene Großunternehmen in der Nachrichtentechnik – Telefunken – anschaulich in Ausstellungen und Buchpublikationen zu vermitteln und dadurch auch aufzubewahren, ist ein Anliegen von Peter Wolf, das er mit Leidenschaft und stetig wachsendem heimatgeschichtlichem Kenntnisreichtum verfolgt und vertieft und mit seinem ersten Buch ,Leben und Arbeiten in Backnang‘ erfolgreich begonnen hat“, wusste Heimat- und Kunstvereinsvorsitzender Ernst Hövelborn bei der Präsentation des Nachfolgewerks. Es sei immer auch der geschulte Fotograf und Kommunikationsdesigner am Werk, sodass Wolfs Buch nicht nur vom Inhalt, sondern auch von der Form her Qualität besitze. Hövelborn schlug vor, den Band doch einmal auf einen Stadtspaziergang mitzunehmen und die alten Ansichten mit dem Istzustand zu vergleichen. Das allerdings ist nicht immer ganz einfach. Peter Wolf machte dies in seinen kurzen Worten bei der Buchvorstellung deutlich, zu der er zwei Karten mitgebracht hatte: Die Urkarte von 1831/32 und einen Überlagerungsplan. In Letzterem wird die Bebauung, wie sie 2004 war, der in der Urkarte festgehaltenen Situation gegenübergestellt. Dies erleichtert es zu erfassen, was abgerissen, verändert und neu gebaut wurde. Neben der oft schwierigen Quellenarbeit liegt es Peter Wolf am Herzen, dass die alten Fotos nicht verloren gehen. „Zur Erinnerungskultur gehört auch das Aufbewahren. Die alten Farbfotos gehen kaputt, man muss sie digitalisieren, um sie bewahren zu können.“
Andreas Ströbel, Marketing- und Vertriebsleiter des Sutton-Verlags, in dem das Buch erschienen ist, gab Einblick in das Verlagskonzept mit zahlreichen Bildbänden aus ganz Deutschland. Er betonte die „wunderbare Zusammenarbeit“ mit Peter Wolf, „der es so schön einschätzen kann, welche Bilder es sind, die uns in die Lebensumstände und das Lebensgefühl von früher hineinziehen können“.
Peter Wolf: Streifzüge durch Backnang in alten Fotografien. 128 Seiten. ISBN 978-3-95400-719-6. Sutton-Verlag, Erfurt. 19,99 Euro. Erhältlich im Helferhaus dienstags bis freitags von 17 bis 19 sowie samstags und sonntags von 14 bis 19 Uhr und im örtlichen Buchhandel.

