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Waden unterm Kinn sorgten für Spott

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Von Wolfgang Wulz

Es müssen besonders heimtückische Lästermäuler gewesen sein, die vor Jahrzehnten den Witz erzählten, der Herrgott habe bei der Aufteilung der Erde alle „Kropfigen“ ins Einzugsgebiet des Neckars geschickt, welches in den himmlischen Landkarten fortan als „Kropfreich“ verzeichnet gewesen sei.

Jeder Kenner der wahren Verhältnisse muss diese Behauptung zurückweisen, weiß er doch zu gut, dass nicht nur in dieser Region eine große Anzahl von „Naturbroschenträgern“ anzutreffen war. Das zeigt allein folgende Tatsache: Mit rund einem Dutzend Orten aus schwäbischen Landen tragen die Kirchberger das gemeinsame Schicksal, mit einer Anomalie geneckt zu werden, die nicht nur in Hoch-, sondern auch in Mittelgebirgsgebieten aufgrund des Jodmangels weiter verbreitet war und immer noch ist, als gemeinhin angenommen wird. Noch heute leidet fast die Hälfte aller Frauen an einer solchen krankhaften Vergrößerung der Schilddrüse. Und während es in der Schweiz, wo nur noch jodhaltiges Kochsalz verkauft werden darf, kaum mehr „Kröpfli“ gibt, begegnen einem hierzulande immer noch Leute „mit den Waden unterm Kinn“.

Auch in Kirchberg an der Murr, ebenso in Spiegelberg und in Fornsbach hat es früher eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Kropfträgern gegeben. Als Hauptursache wird allenthalben die schlechte Qualität des Trinkwassers aus dem Muschelkalkgebiet angegeben. Auch vom schweren Tragen auf dem Felde und in den Weinbergen konnten – wie eine frühe Aufzeichnung vermutet – dicke Hälse kommen.

Die Bewohner der benachbarten Orte haben natürlich die besondere Anatomie etlicher Kirchberger schadenfreudig registriert. Verschärft wurde das Unwort „Kropf“ noch durch den Zusatz „Jockel“, ein Name, der nicht die Kurzform von Jakob ist, sondern gerne auch für Personen verwendet wird, die als dumm, töricht und ungeschickt gelten.

Wenn man sich nun bei nachbarschaftlichen Streitigkeiten unter jungen Burschen – meist ging es um die Verteidigung der eigenen Mädla – die „Oname“ an die Köpfe warf, dann war „Kropfjockel“ schon eine ganz schwere Beschimpfung. Die Kirchberger wussten sich aber zu wehren, indem sie mit erhobenen Fäusten die Erdmannhausener als „Wegverscheißer“, die Affalterbacher als „Gearstelupfer“ oder die Rielingshausener als „Hutzelfeige“ aus dem Flecken jagten.

Erzählt wird auch von einem Auswärtigen, dem ein paar halbwüchsige „Kröpfle“ im Chor „Ganshalseter“ und „Dünnhalseter“ hinterherriefen. Eine der frommen Mütter bekam das mit und wies ihr Kind voller Ernst zurecht: „Glei bisch still ond läscht den Ma in Ruh! Dank deim Herrgott, dass du no älle deine gsonde Glieder hoscht!“

Die besondere sprachliche Eigenart der Kirchberger, kurze Vokale vor dem ‚r‘ zu dehnen (Beispiel: Guurd, Güürdle für Gurt), führte für die vielen, vom russischen Zarenreich 1834 nach Lichtental in Bessarabien geholten Murrtaler Schwaben auch dort zu einer witzigen Neckerei. Weil sie zu ihrem Heimatort „Kiarachberg“ sagten, wurden die Lichtentaler Neusiedler alsbald als „Küahberger“ geneckt. Und da sie voller Heimweh von ihrem geliebten „Lerchenberg“ im Gewann „Vordere Halden“ erzählten, fingen sie auch noch den Spitznamen „Lerchefanger“ ein. So nett betitelt konnten sich die etlichen Lichtentaler, die nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 als Vertriebene wieder in das über 100 Jahre zuvor von ihren Urahnen verlassene schwäbische Heimatdorf zurückkehrten, nur schwer an den bösartigen Necknamen „Kropfjockel“ gewöhnen.

  Bitte richten Sie Hinweise zu den schwäbischen Necknamen an die Backnanger Kreiszeitung, Postfach 1169, 71501 Backnang, E-Mail necknamen@bkz.de oder auch direkt an den Autor Wolfgang Wulz, möglichst per E-Mail an mundart@wulz.de oder per Post an die Adresse Goldregenstraße 6, 71083 Herrenberg.


            Sticheleien wegen anatomischer Eigenheiten: Einheimische Kropfjockel verspotten einen auswärtigen „Ganshalseten“. Zeichnung: Karlheinz Haaf

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