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Museumsstücke in der alten Scheuer

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Von Heidrun Gehrke

BURGSTETTEN. Dass sie im Dezember ihren Speicher und Keller auf den Kopf stellen dürfen, daran haben sich die Burgstettener inzwischen gewöhnt. Denn einmal jährlich ruft der historische Verein im Gemeindeblatt dazu auf, das altehrwürdige „Geraffel“ dem Museum für vier Wochen als Leihgabe zu überlassen.

Für die jüngste und inzwischen zehnte Schau trug die Bürgerschaft 200 Puzzlesteine zusammen, die ein Bild ergeben von des Menschen offenbar liebster Betätigung: „Messen, Wiegen und Zählen wollte der Mensch schon immer“, sagt Dr. Jochen Elzmann vom historischen Verein.

Schon in vorchristlicher Zeit wurde mit Laufgewichtswaagen – sogenannten Schnellwaagen – das Gewicht von Vieh, Getreide oder das Geburtsgewicht von Babys ermittelt. Ein Exemplar dieser ursprünglichen Wiegetechnik findet sich in der Ausstellung, das Alter schätzt Elzmann auf 150 Jahre. Gewogen wird mit zwei Hebelarmen, einem Balken mit geeichten Kerben und einem Ausgleichsgewicht, das nicht geeicht werden musste.

Apotheker und Goldschmiede verlassen sich auf die Präzision einer Federwaage

Ab dem 17. Jahrhundert setzte sich die Tafelwaage durch, gefolgt von weiteren Techniken, von denen es Kostproben zu sehen gibt: Die Küchenwaage fürs Backen nach Rezept und die Federwaage für die inzwischen seltenen Briefe. Sie machten sich Schraubenfedern zunutze, wie auch die Zugwaagen, an denen im Ausstellungsraum zur Veranschaulichung ein Zuber Getreide und ein Körbchen mit einer Babypuppe hängen.

Außer Markthändlern verließen sich auch Apotheker und Goldschmiede auf die Präzisionsmechanik der Federwaagen. Eine Apothekerwaage und eine deutlich kleinere Waage, auf der mit mikrochipwinzigen Gewichten Gold gewogen wurde, begegnen dem abwägenden Auge des Besuchers ebenso wie alte Lot-Gewichte.

Eine Paketwaage steht einträchtig neben einer elektronischen Waage, die für die damalige Zeit fortschrittlich war. Auf etlichen Tischen sind Werkzeuge und Apparaturen versammelt, die Länge, Zeit, Temperatur, Strom, Spannung, Geschwindigkeit, Blutdruck oder den Blutzucker messen. Nicht fehlen darf das Gerät zur Bestimmung des Mostgewichtes – die Oechsle-Waage.

Die Mechanik wirkt antiquiert, doch einige Exponate ohne Mikrochips seien bis heute im Einsatz, erklärt Elzmann. Bei der Schlauchwaage wird durch den Wasserstand über größere Entfernungen das horizontale gleiche Niveau bestimmt. Nicht zu verwechseln mit der Wasserwaage, in der ein Luftpolster die horizontale Lage eines Objekts eruiert.

Wenig überraschend, dass sich hier die Grundlagen der Physik auffrischen lassen. Hebelgesetz und Dichtemessung – da war doch was. Das unscheinbar aussehende Thermometer nach Galileo Galilei zeigt Temperaturen im Minusbereich, die auch von einem Bimetallthermometer bestätigt werden – und garantiert auch vom Ausstellungsbesucher am kommenden Sonntag, wenn er keine Winterjacke trägt.

Mit den ausgestellten Geräten lassen sich problemlos der Feuchtigkeitsanteil bei Brennholz sowie der Füllstand einer Propangasflasche oder einer Autobatterie messen. Ein „alter Knacker“ leistet wertvolle Dienste beim Aufwickeln von 300 Metern Flachs auf die Haspel. Sein eingebautes Zählwerk knackt nach einer bestimmten Länge einmal. Anscheinend wurde häufig der Großvater mit der Wickelei betraut: „Weil der meist schlechte Augen hatte, konnte er sich am Knackgeräusch orientieren und die Länge mitzählen“, erläutert Elzmann.

Orientierung im Gelände ist Wandersleuten lange vor Google Maps schon möglich

Orientierung im Gelände war Wandersleuten lange vor Google Maps schon möglich. Sie griffen zur Peilmessung und ermittelten mit einem Zahnrad die Entfernung auf der Landkarte. Handwerkern dürfte der Umgang mit Schmiege und Elle noch ein Begriff sein – an letztere Maßeinheit erinnert ein Ausstellungsstück aus dem Jahr 1791. Obgleich sie sich von der Ellenbogenlänge ableitet, birgt sie eine Besonderheit: „Jedes Dorf hatte seine eigene Elle“, sagt Elzmann und zeigt ein Buch mit Ortstabellen.

Eine Tabelle war es auch, die häufig beim Holzhandel aus der Jackentasche gezogen wurde: Mit dem sogenannten Faulenzer ließen sich Länge und Durchmesser von Holz in das Volumen übertragen und daraus den Wert der Fracht errechnen. Hilfestellung beim Rechnen leistete der Abakus. Das 3000 Jahre alte Rechenbrett verwendet das Fünfer-System und ist der Vorläufer des Rechenschiebers, der ein weiteres Zwischenstadium markierte, bevor die elektromechanischen Rechenmaschinen folgten.

Die Ausstellung hat das Ziel, „die Prinzipien des Wiegens, Messens und Zählens zu vermitteln, denn wie sie sich entwickelt haben, ist wenig bekannt“, sagt Elzmann. Der historische Verein misst (!) übrigens auch in eigener Sache: Den Erfolg der Ausstellung anhand der großen Zahl der bereitgestellten Exponate sowie „an den Erinnerungen, die wir bei den Besuchern hervorrufen“, ergänzt Elzmann. Und fügt schmunzelnd hinzu: „Wir erfassen die Besucheranzahl mit einem manuellen Klickzähler und per Waage. Aber das Gesamtgewicht fällt unter Datenschutz.“

  Am kommenden Sonntag, 29. Januar, ist die Ausstellung von 13 bis 17 Uhr in der Pfarr- und Zehntscheuer in Erbstetten geöffnet. Der Gemeindekindergarten Erbstetten bewirtet mit Kaffee und Kuchen.


            Allerlei betagte Waagen, viele davon von Bürgern der Gemeinde zur Verfügung gestellt, sind in der Sonderausstellung zu bewundern. Foto: E. Layher

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