Von Peter Wark
BACKNANG. Nach dem Ende des informativen Teils fanden sich spontan eine ganze Reihe von Zuhörern zusammen, die gemeinsam mit Sabine Kutter vom Arbeitskreis Asyl konkrete Schritte zur Unterstützung der erwarteten Asylbewerber besprachen. Kritische Anmerkungen kamen während der Veranstaltung von Anwohnern, die bei der ersten Belegung der Sporthalle des Kreisberufsschulzentrums im Frühjahr nicht nur gute Erfahrungen gemacht haben (siehe Extra-Artikel).
Die Flüchtlingsunterbringung ist ein Kraftakt für alle Beteiligten, das machte Landrat Dr. Richard Sigel vor stark 100 Besuchern deutlich. Bis Jahresende werden 4500 Menschen im Rems-Murr-Kreis erwartet. Das bedeutet im Augenblick, dass etwa 1000 Betten fehlen. Die Verwaltung prüft kreisweit rund 100 Objekte auf ihre Eignung als Unterkunft. Die Landkreise sind für die Gemeinschaftsunterbringung der Flüchtlinge zuständig, die Städte und Gemeinden für die Anschlussunterbringung.
Noch im Frühjahr ging das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) davon aus, dass in diesem Jahr 300000 Asylsuchende nach Deutschland kommen. Im August war von 800000 Menschen die Rede. Nun gehen die Schätzungen in Richtung eine Million, sagte Joachim Frey, der Leiter des Geschäftsbereichs Besondere Soziale Hilfen im Landratsamt.
4,4 Prozent der in Baden-Württemberg ankommenden Flüchtlinge muss der Landkreis nach der aktuellen Reglung aufnehmen. Doch hier seien „Änderungen zu erwarten“, sprich, der Anteil wird steigen. Es sind derzeit im Schnitt jeden Monat 740 Personen, die untergebracht werden müssen. Bis Jahresende wird mit weiteren 3000 Flüchtlingen gerechnet. Der Landkreis muss die „vorläufige Unterbringung“ dieser Personen organisieren. Frey zählte auf, was darunter zu verstehen ist: ein (festes) Dach über dem Kopf, Leistungen für Ernährung, Körperpflege und Hausrat, medizinische Grundversorgung und soziale Betreuung. Die Flüchtlingssozialarbeit gestalte sich derzeit aufgrund der Zahlen aber als „eine schier unmöglich Sache“.
In der Sporthalle des Kreisberufsschulzentrums in Backnang sollen nach den jetzt vorliegenden Zahlen 120 männliche Flüchtlinge, wohl fast ausschließlich Moslems, unterkommen. Sie werden in der kommenden Woche erwartet. Es gebe „keine Alternativen“ zu den Sporthallen, sagte Landrat Sigel. Hallen werden auch in Waiblingen und Schorndorf mit Flüchtlingen belegt (wir berichteten). Herkunftsländer der in Backnang erwarteten Asylbewerber sind vor allem Syrien, Pakistan, Afghanistan, Nigeria, Albanien, Türkei, Irak. Angestrebt ist, dass die Halle nach drei Monaten wieder für den eigentlichen Zweck freigegeben wird. Doch der Landrat sagte es deutlich: Es wäre unehrlich, heute zu versprechen, dass dieser Zeitrahmen auch wirklich eingehalten werden kann.
Joachim Frey betonte, dass ein Rund-um-die-Uhr-Wachdienst eingerichtet werde, der als Ansprechpartner für die Bewohner dienen soll. Außerdem wird ein Hausmeister gestellt.
Land und Landkreise müssten dringend von Ad-hoc-Lösungen wegkommen: Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper forderte „tragfähige Dauerkonzepte“. Er machte deutlich, dass er nicht glücklich ist über die Zwangsbelegung der Sporthalle. Der Kreis sei wohl von der Zahl der Asylbewerber „überrascht und überrollt worden“ und wisse sich nicht mehr anderweitig zu helfen. Backnang trage seit Jahren kreisweit eine Hauptlast bei der Flüchtlingsunterbringung, sagte der Oberbürgermeister. Nopper verwies auf die 20 zusätzlichen Containerwohnplätze an der Hohenheimer Straße und auf die künftige Gemeinschaftsunterbringung von 25 Menschen in der Gartenstraße. Er forderte Solidarität anderer Kommunen im Kreis.
Für die betroffenen Schüler in Backnang sollen Ersatzmöglichkeiten für den Sportunterricht geschaffen werden. Konkrete Aussagen dazu könne er aber noch nicht machen, da einige Rektoren wegen der Ferien nicht erreichbar seien.
Dr. Isolde Fleuchaus, Schulleiterin der Gewerblichen Schule, kündigte auf dem Podium an, die Schule werde Regeln zum guten Miteinander mit den direkt benachbarten Flüchtlingen aufstellen. Schülerinnen würden angehalten, nur den Haupteingang zu benutzen. Es solle einen geschützten Raum für die Schüler geben, die aufgefordert würden, nicht ihrerseits Sightseeing bei den Asylbewerbern zu betreiben. Am 18. September 15 Uhr wird in der Schule eine öffentliche Veranstaltung mit Schülern, Lehrern, Eltern, Anwohnern und allen Interessierten stattfinden, kündigte Fleuchaus an.
Mustafa Gül vom Vorstand der türkisch-islamischen Gemeinde Backnang bot an, dass Gemeindemitglieder muslimische Asylbewerber vor Ort abholen und in die Moschee begleiten und ihnen auch sonst zur Seite stehen wollen.
Bastian Gasch vom Sozialdienst beim Landratsamt bat darum, den Neuankömmlingen offen und vorurteilsfrei zu begegnen und ihnen einen fairen Start zu ermöglichen.