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Unschöne neue Welt des Verbrechens

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Von Christine Schick

MURRHARDT. Nach einer aktuellen Umfrage haben etwa 71 Prozent der Menschen in Baden-Württemberg Angst vor Terrorismus, Extremismus und einer Überforderung des Staates in Bezug auf die Flüchtlingskrise und den Zuzug von Asylbewerbern.

Stimmungen und Momentaufnahmen sind das eine, die konkrete Arbeit eines Landeskriminalamtes das andere. Trotzdem habe man bereits vor einigen Jahren antizipiert, dass sich der Staatsschutz noch mal besser aufstellen müsse und mit drei Antiterrorprogrammen nachgelegt, sagt Ralf Michelfelder. Der Präsident des Landeskriminalamts gibt bei seinem Vortrag „Herausforderung innere Sicherheit – Aufgaben des LKA“ zu bedenken, dass der Extremismus insgesamt merklich gestiegen sei, ob er nun von rechts oder links kommt oder dem Islamismus zuzurechnen ist. Die Lage im Nordirak und in Syrien hat auch Auswirkungen auf das Leben in Baden-Württemberg und beschäftigt das LKA. Ganz konkret sind 50 Personen dorthin ausgereist, um den sogenannten Islamischen Staat (IS) zu unterstützen. „Wir gehen davon aus, dass zehn bis zwölf von ihnen tot sind und ein Drittel auf der Rückreise beziehungsweise bereits wieder hier ist.“ Aufgabe des LKA sei es, abzuschätzen, von wem möglicherweise eine Anschlagsgefahr ausgehe. Bundesweit sind unter den Ausgereisten etwa 20 Prozent Frauen, die sagen: „Ich möchte junge Krieger gebären.“ Generell spielen für das LKA drei Risikogruppen eine Rolle: Attentäter, die über den Flüchtlingsstrom nach Deutschland kommen und „die der IS bewusst diesen Weg gehen lässt, auch um die Flüchtlinge zu diskreditieren“. Insofern „sollte man aufpassen, nicht in diese Meinungsfalle zu tappen“. Zur zweiten Kategorie gehören Fälle aus der Salafistenszene, zur dritten die Selbstradikalisierer, bei denen für die Beamten auch Hinweise aus der Bevölkerung von Bedeutung sind.

Rechtsextreme (930 Fälle) und linksextreme Straftaten (450 Fälle) haben nach den aktuellen Zahlen (2015/16) zugenommen, was Michelfelder in Verbindung mit der Landtagswahl bringt. Dabei habe man im Vergleich beider dreimal so viele Gewalttaten erfasst, die linksextrem motiviert seien. Mit der Lage in der Türkei – Inhaftierung von Oppositionspolitikern und Journalisten sowie Schließung von unabhängigen Medienunternehmen – mache sich die teils gewaltsame Austragung des Konflikts zwischen Erdogan-Anhängern und -Gegnern auch in Deutschland bemerkbar. Zwischenfazit: „Die Extremismus- und Terrorismusabwehr ist eines unser Hauptbetätigungsfelder, in rund 50 Prozent der Fälle ermitteln wir selbst.“

Als absoluten Schwerpunkt bezeichnet der LKA-Chef außerdem die (Wohnungs-)Einbrüche. Zwischen 2012 und 2014 seien die Zahlen stark gestiegen, aktuell aber wieder rückläufig. „Das kommt nicht von allein“, sondern sei durch konsequente Spurensicherung und Bildung von Ermittlungsgruppen in Präsidien und beim LKA möglich geworden. Michelfelder macht keinen Hehl daraus, dass dies eine Verlagerung der Arbeitskapazitäten zugunsten der Einbruchsermittlung bedeutet habe, die beispielsweise bei Lkw-Kontrollen oder Fußballspielen reduziert worden seien. Das Ergebnis: Gestiegene Aufklärungsquote und eine gewisse Verdrängung der Tätergruppen. 2012/13 verzeichneten die Beamten relativ viele Täter aus Georgien. „Es gab Zeiten, da gingen uns die Dolmetscher aus.“ Heute spiele das Land in dieser Hinsicht kaum noch eine Rolle, wobei „andere versuchen, die Lücke zu schließen“. Und mit dem Winter und der dunklen Jahreszeit haben Einbrecher nun wieder Hochkonjunktur. Neben den klassischen Einbrüchen und Diebstählen muss sich das LKA auch zunehmend mit neuen Formen der Wirtschaftskriminalität befassen. Darunter fällt beispielsweise das, was die Fachleute als Enkeltrick für Unternehmen (Fake President) bezeichnen. Nach einem gezielten Ausspähen über Internetseiten oft kleiner und mittelständischer Unternehmen, erhalten die für das Geld Zuständigen wie Buchhalter eine Mail, die scheinbar von ihrem Chef kommt, werden um Stillschweigen gebeten und schließlich zu einer Überweisung von hohen Beträgen angewiesen.

Kleine und mittlere Unternehmen im Fokus von Trickbetrügern

Michelfelder spricht bei den elf vollendeten Fällen der vergangenen anderthalb Jahre immerhin von rund 25 Millionen Euro Schaden. „Wir konnten über internationale Kontakte etwa die Hälfte des Geldes zurückerhalten“, aber wenn die Überweisung beispielsweise auf ein Konto in China erfolgt ist, sei das nicht mehr ganz so einfach.

Ein weiteres Thema sind Ransomware-Angriffe, die über Trojaner den Computer sperren und Lösegeld für die angebliche Freischaltung fordern. In punkto Cyberkriminalität ist das LKA zudem gefordert, wenn es um das gezielte Abschießen von Rechnern bis hin zu Attacken auf sensible Infrastruktur geht. Zu Hackerangriffen sagt Michelfelder: „Das sogenannte Internet of Things (Vernetzung von Haushaltsgeräten mit dem Smartphone) ist in dieser Hinsicht noch eine Schwachstelle und nicht gut abgesichert.“ Eine Spezialvariante: Der Diebstahl von hochwertigen Autos, die mit einem Funksignal geöffnet, aber ohne Schlüssel gefahren werden, wobei die Täter einen sogenannten Funkreichweitenverlängerer verwenden, wenn der Originalöffner in der Nähe ist.

Nicht zuletzt steht ein recht handfestes Schwerpunktthema auf der Liste: Die Rockerkriminalität, bei der auch Prostitution und Menschenhandel mithineinspielen.

Ralf Michelfelder und dem Landeskriminalamt wird die Arbeit jedenfalls nicht so schnell ausgehen, wobei die Motivation der Kollegen auch für seine eigene eine große Rolle spielt, wie er sagt. In der anschließenden Fragerunde, die Ulrich Burr moderierte, wurden neue Themen angeschnitten oder behandelte vertieft. Michelfelder bat um Verständnis, dass er über die Sicherheitslage in Murrhardt, die CDU-Stadtverbandsvorsitzender Georg Devrikis in seiner Begrüßung auch kurz anriss, nichts sagen könne, da in diesem Fall die Kollegen vor Ort die Experten seien.


            Ralf Michelfelder, Chef des Landeskriminalamtes, gab bei seinem Vortrag im Kulturhaus Klosterhof einen Überblick über die Arbeitsschwerpunkte seines Teams. Am Abend, zu dem der CDU-Stadtverband Murrhardt eingeladen hatte, wurde klar, dass zu den zentralen Herausforderungen die Themen Extremismus und Terrorismus gehören. Foto: J. Fiedler

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