Quantcast
Channel: BKZ - RSS
Viewing all articles
Browse latest Browse all 9673

400 Briefe finden ihren Empfänger nicht

$
0
0

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Der Staatsanwalt listet einen Teil auf. Er nennt das Datum, den Absender, den Adressaten. Briefe des Landratsamtes, der Volksbank, der Stadtwerke, des Steuerberaters, der Agentur für Arbeit. Allesamt Briefe, die ihre Empfänger nie erreichten.

Weil sie liegen blieben. Weil sie liegen gelassen wurden. Austragen sollte sie ein 25-jähriger Mitarbeiter der BW-Post. Er hatte sie zum Sortieren nach Hause genommen. Aber dann wurde er krank. Und vergaß die Briefe. Das heißt: Vielleicht gingen sie auch im Gewirr der Schachteln und Kisten unter. Denn der Umzug stand bevor.

Leute seiner Firma kamen zu Besuch. Auch sie suchten die ausgebliebenen Briefe in der Wohnung des Beschuldigten. Aber auch sie wurden nicht fündig. Wochen später, der Briefbote war inzwischen umgezogen, tauchten die Briefe wieder auf. Aber jetzt hielt es der Briefbote für zu spät. Er hatte Angst. Ferner hatte ihn die Firma gekündigt. Weil Briefe, die in seinen Zuständigkeitsbereich fielen, abhandengekommen waren.

Wegen anderer Diebstahlsvorwürfe geriet der Briefbote ins Visier der Polizei. Die erwirkte einen Durchsuchungsbefehl. Und fand die Briefe. Stapelweise auf dem Dachboden. Oder zerrissen in Müllsäcken. Vierhundert an der Zahl. In tagelanger Puzzlearbeit wurden die Schriftstücke wieder zusammensortiert, sodass ein Teil der Empfänger doch noch, wenn auch verspätet, Post bekam.

Italienischer Führerschein

erweist sich als Fälschung

Auch der verhinderte Briefbote erhielt Post. Allerdings anderer Art: eine Anklage wegen Verletzung des Postgeheimnisses. In dieser Sache hatte er sich nun vor dem Amtsgericht Backnang zu verantworten. Das heißt, genau genommen: Mitverhandelt wurden auch noch drei Fahrten ohne Führerschein.

Die Polizei hatte bei der Durchsuchung einen Führerschein gefunden. Einen italienischen. Allerdings eine Fälschung. Eine schlechte Fälschung, wie der als Zeuge vernommene Polizeibeamte angab. Und zuletzt noch ein Diebstahlsdelikt. Im Kaufland hatte der Angeklagte Xenon-Lampen mitgehen lassen.

Einerseits bejahte der Angeklagte die Vorwürfe. Andererseits gab er wieder an, die einbehaltenen Briefe völlig vergessen zu haben, den Diebstahl sich nicht erklären zu können. Dummerweise hatte er auch noch die falschen Lampen eingesteckt. Tage später kaufte er die richtigen. Aber da war das Diebstahlsdelikt durch den Ladendetektiv schon weitergeleitet worden.

Bei den Einlassungen zur Person wird deutlich, dass der Angeklagte die Schule abgeschlossen, dann aber nie eine Berufsausbildung gemacht hat. Mit Aushilfsjobs hat er sich die Jahre durchgeschlagen, Frau und drei Kinder ernährt. Zurzeit ist er arbeitslos. Schulden in Höhe von 25000 Euro haben sich aufgetürmt. Das Vorstrafenregister liest sich ähnlich wie der aktuelle Fall: Fahren ohne Führerschein und Diebstahl.

Der Staatsanwalt fragt sich, wie man 400 Briefe vergessen könne. Im Übrigen wird aber das Geständnis positiv gewürdigt. Der Verteidiger sieht das Fahren ohne Fahrerlaubnis nicht als erwiesen an. Der als Zeuge auftretende Polizeibeamte hatte die Aussagen der Zeugen referiert. Die Zeugen, so meint der Rechtsanwalt, hätten geladen werden müssen.

Nach kurzer Beratung lautet das Urteil des Backnanger Schöffengerichts dann auf 15 Monate Freiheitsstrafe für die Verletzung des Postgeheimnisses und einen Monat für den Diebstahl. Beides auf Bewährung. Ferner habe der Beschuldigte 60 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten.

Eindringliche Mahnung:

Es darf nichts vorkommen

Wieder wird der Richter bei der Erläuterung der Bewährungszeit sehr eindringlich. Es dürfe nichts vorkommen. Kein Schwarzfahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Keine Bestellung im Internet, wenn man weiß, dass das Bestellte nicht bezahlt werden kann. Der Verurteilte laufe sonst Gefahr, dass die Bewährung widerrufen wird und einsitzen müsse. Er wisse doch hoffentlich, was das für seine Familie bedeuten würde.

Der Briefbote nimmt das Urteil an. Zusammen mit seinem Rechtsanwalt und unter Zustimmung des Staatsanwalts gibt er am Ende der Verhandlung zu Protokoll: Auf Rechtsmittel, das heißt Berufung oder Revision, wird verzichtet.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 9673