Quantcast
Channel: BKZ - RSS
Viewing all articles
Browse latest Browse all 9673

Fieber, Beulen und dann der Tod

$
0
0

Von Armin Fechter

BACKNANG. Die Menschen wurden plötzlich von einer seltsamen Krankheit befallen. Sie bekamen Fieber, merkwürdige Beulen am ganzen Körper und starben kurz darauf – einer nach dem anderen.

Woher die Pest kam, wussten die Menschen damals nicht. Die medizinische Forschung war noch nicht so weit, der Übertragungsweg noch unbekannt. Wahlweise waren schlechte Winde, eine ungünstige Konstellation von Mars, Jupiter und Saturn oder verseuchtes Wasser für die unheimliche Krankheit verantwortlich. Als Brunnenvergifter beschuldigt und daraufhin in ganz Europa verfolgt, vertrieben oder ermordet wurden die Juden. Heilmittel gegen die Pest gab es nicht, allgemein galten Krankheiten aber als Strafe Gottes. Manche Gläubige begannen daher damit, sich selbst zu geißeln, um für ihre Sünden zu büßen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Rätsel um die Pest gelüftet: Ein Arzt entdeckte 1894 den Pesterreger. Heute weiß man, dass es sich bei der Pest um eine bakterielle Infektionskrankheit handelt, die im Mittelalter vor allem durch die allerorts gegenwärtigen Ratten und andere Nagetiere auf Flöhe, die als Zwischenträger fungierten, und schließlich auf Menschen übertragen wurde.

An Backnang ist die Seuche nicht vorübergegangen. So zog die Krankheit während des Dreißigjährigen Krieges, der von 1618 bis 1648 dauerte, auch in der Stadt ein. Im Jahr 1626 kam dabei etwa ein Drittel der Bevölkerung zu Tode. Die Einwohnerzahlen lagen damals aber viel niedriger als heute: Für 1600 wird laut Backnang-Lexikon von etwa 2250 Bewohnern ausgegangen. Bis 1665 ging deren Zahl auf etwa 800 zurück.

Das war zugleich die Ausgangssituation, als die Pest im Jahr 1666 in Backnang erneut ausbrach. Professor Dr. Gerhard Fritz, der frühere Backnanger Stadtarchivar, der heute an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd lehrt, hat das Thema im zweiten Band des Backnanger Jahrbuchs 1993/94 behandelt. Demnach besteht kein Zweifel daran, dass es sich bei der schweren Seuche, von der Backnang heimgesucht wurde, tatsächlich um die Pest handelte. So sei es damals ausdrücklich in den Kirchenbüchern festgehalten worden. Der Buch führende Geistliche hat überdies am Jahresende eine Statistik aufgemacht und in einem abschließenden Kommentar festgehalten, dass 123 der insgesamt 173 Toten des Jahres der Seuche zum Opfer gefallen waren. Zwar werden, wie Fritz erklärt, die Symptome der Epidemie in Backnang nirgends näher beschrieben. Trotzdem könne man sie „eindeutig als die damals grassierende Beulenpest identifizieren“. Sie ist zeitgleich aus vielen deutschen Städten belegt.

Krankheit breitete sich von

Amsterdam rheinaufwärts aus

Fritz geht davon aus, dass die 1666 in Backnang ausgebrochene Pest Teil einer europaweiten Epidemie war. Die Krankheit sei ursprünglich 1663 aus dem Mittelmeerraum per Schiff nach Amsterdam eingeschleppt worden und habe sich von dort einerseits nach England und andererseits rheinaufwärts ausgebreitet.

Zwar habe man damals bereits die Quarantäne als Mittel, um die Pest einzudämmen, gekannt. Doch wandte man diese Isolierung der Erkrankten nicht konsequent an – meist um den Handel nicht zu sehr zu stören. Nur in Teilen der Schweiz und in Oberitalien sei man rigoros vorgegangen und habe die Epidemie tatsächlich fernhalten können.

1663 und 1664 wütete sie aber in Amsterdam, wo sie fast 34000 Opfer forderte. Bis zum Sommer 1665 hatte sie Köln erreicht, wo sie bis 1666 virulent blieb. Jenseits des Kanals forderte die große Pest von London 1665 und 1666 rund 100000 Tote in ganz Südengland, davon etwa 70000 in London selbst, was etwa einem Fünftel der Stadtbevölkerung entsprach.

Der erste Fall in Backnang ist für den 9. Juni 1666 belegt. Das erstaunt, wie Fritz anmerkt, weil die Pest im weiter rheinabwärts gelegenen Mainz erst einige Wochen später auftrat. Jedenfalls ist die Todesrate in Backnang sprunghaft gestiegen – auf bis zu 40 Verstorbene pro Monat. Fritz spricht deshalb auch von der „demografischen Krise 1666“. Erst im Dezember wurde wieder Normalniveau erreicht. Damit war die Epidemie in der Stadt abgeklungen, während sie andernorts noch weit ins Folgejahr hinein tobte.

In diesem Zusammenhang „verblüfft“, wie Fritz anfügt, dass die Pest in manchen Backnanger Nachbarorten offenbar gar nicht aufgetreten ist. Als Beispiele nennt er Sulzbach an der Murr, Murrhardt, Gaildorf und Schwäbisch Hall. Allerdings sei auch der Forschungsstand lückenhaft. Nur für einzelne Orte liegen genaue Daten vor. So hat sich in Winnenden 1666 die Zahl der Toten auf 103 etwa verdoppelt, ebenso in Weissach im Tal, wo 40 statt 20 bis 25 Tote verzeichnet sind.

Bei der Beulenpest gab es damals – im Gegensatz zur noch gefährlicheren Lungenpest – eine gewisse Überlebenschance für besonders robuste Infizierte. Erstaunlich findet Fritz deshalb, dass die Backnanger Seuche nur wenige Ältere, dafür aber vermehrt mittlere Jahrgänge um die 40 traf, die normalerweise als vitaler gelten. Auffällig ist auch, dass besonders viele Opfer unter den Kindern und Jugendlichen zu verzeichnen waren.

Sichtbare Spuren, die heute noch erkennbar wären, haben die Pestepidemien in Backnang allerdings nicht hinterlassen. Es gibt beispielsweise keine Pestsäule, die zur Erinnerung an die Seuche oder als Dank für ihr Erlöschen errichtet wurde, wie dies in vielen traditionell katholischen Gegenden der Fall ist. Stadtarchivar Dr. Bernhard Trefz kennt auch keine bildlichen Darstellungen, die sich auf die Backnanger Pestzeiten beziehen. Eine gewisse Verbindung stellt aber das sogenannte Totenkirchle in der Sulzbacher Straße dar. Das Gotteshaus war außerhalb der Stadtmauern errichtet worden, viele Jahrhunderte lang befand sich dort der städtische Friedhof. Laut Trefz ist davon auszugehen, dass auch die Toten der Pest dort bestattet wurden.


            Die älteste Stadtansicht von Backnang stammt aus dem Kieser’schen Forstlagerbuch von 1685. Die Darstellung reicht also fast in die Zeit der letzten Pestepidemie zurück, die in der Stadt wütete. Begraben wurden die Backnanger Toten in dieser Zeit auf dem städtischen Friedhof bei der Kirche unserer lieben Frau im Eckertsbach, dem sogenannten Totenkirchle – auf dem Bild links jenseits der Murr.

            Die Pest raffte im Mittelalter und in der frühen Neuzeit allein in Europa Millionen dahin. Ein Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert lässt erahnen, welches Leid damit verbunden war.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 9673