Von Armin Fechter
Sie sind die Beauftragte für das Reformationsjubiläum der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. In welcher Verfassung geht die Landeskirche ins Jubiläumsjahr?
Wir freuen uns darauf! Es ist unglaublich, was die Kirchengemeinden und die kirchlichen Werke alles planen. Sie nutzen die Chance des Jubiläums, Themen des christlichen Glaubens ins Gespräch zu bringen. Und nicht nur die vielen Theaterstücke zu Personen der Reformationszeit zeigen, dass die Themen von damals auch heute noch von Interesse sind.
Martin Luther hat mit seinem Thesenanschlag 1517 einen revolutionären Prozess in Gang gesetzt, der bis heute wirkt. Worin sehen Sie die Herausforderungen der Reformation in der Gegenwart?
Das Selbstverständnis der Menschen heute ist ein ganz anderes als vor 500 Jahren. Die politischen und sozialen Lebensumstände sind ebenfalls ganz verschieden. Man kann aus der Reformationszeit keine Handlungsanweisungen für heute anstehende Reformen ableiten. Aber für die Kirchen der Reformation ergeben sich aus der reformatorischen Theologie gewisse Verpflichtungen, zum Beispiel die Bibel ins Zentrum ihrer Verkündigung zu stellen und sich für Bildungsgerechtigkeit einzusetzen.
Sie sprechen bei Kirche im Dialog zum Thema „Durch das geöffnete Tor in das Paradies selbst eintreten – Freiheit als Potenzial der Reformation“, wobei Sie unter Paradies mit Sicherheit nicht das Schlaraffenland verstehen. Was hat es mit dem Eintritt ins Paradies auf sich?
Das Paradies ist für Luther ein Zustand der Seele, das Lebensgefühl, dass es einem an nichts fehlt. Freude, innerer Friede, Dankbarkeit und Liebe sind damit verbunden – durchaus paradiesisch.
Freiheit ist einer der zentralen Begriffe im Zusammenhang mit der Reformation und dem Jubiläum im nächsten Jahr. So lautet auch die Losung „...da ist Freiheit“. Welcher Inhalt steckt hinter dem Wort?
Gemeint ist natürlich die Freiheit, die uns durch den Geist Gottes geschenkt wird. Das christliche Freiheitsverständnis unterscheidet sich von philosophischen oder politischen Freiheitsbegriffen in mehrerer Hinsicht. So ist die christliche Freiheit keine Freiheit von Bindungen, sondern eine Freiheit durch die Bindung an Gott und eine Freiheit für die Liebe zu anderen Menschen. Wenn die Theologie nur das sagt, was die Politik oder die Psychologie auch sagen, bräuchte man sie ja nicht. Die Aktion „Baden-Württemberg liest Luther“ lädt zum Dialog darüber ein, was Freiheit bedeutet. Sie wird am 17. November in Bad Cannstatt eröffnet. Da sprechen unser Landesbischof, die Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg, eine Gefängnisseelsorgerin und ein Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie miteinander über Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Darauf bin ich selber gespannt.
Welche Antwort gibt die Kirche heute auf die Frage, wie frei der Mensch wirklich ist?
Was meinen Sie mit „wirklich“? Die Handlungsfreiheit? Die Freiheit des Willens? Die Gewissensfreiheit? Bei Paulus und bei Martin Luther kann man lernen, dass die Sache mit der Freiheit schwieriger ist, als viele meinen. Äußere Freiheiten führen nicht automatisch zu innerlich freien Menschen. Die Freiheit der Seele ist nach Auffassung der Theologie ein Geschenk. Man kann sie sich nicht selbst erkämpfen. Aber wenn sie uns geschenkt wird, bekommen wir den Mut, uns durchaus kämpferisch für Freiheit und Gerechtigkeit aller Menschen einzusetzen.
„Ecclesia semper reformanda“ lautet ein anderes Schlagwort – Kirche ist ständig zu erneuern. Was gilt es heute zu reformieren?
In der Tat ermutigt uns die Reformation, zur Veränderung bereit zu sein. Die Kirchen blicken heute mit Sorge auf den zunehmenden religiösen Analphabetismus oder den Mitgliederschwund. Ich weiß nicht, welche Reformen nötig wären, um diese Herausforderungen zu meistern. Ich weiß nicht einmal, ob sie sich überhaupt meistern lassen. Aber ich weiß, dass eine Kirche, die sich um sich selbst sorgt, nicht mehr genug Kraft hat für den Auftrag, für andere da zu sein. Darum hoffe ich, dass das Reformationsgedenken uns den Mut schenkt, unbesorgt um uns selbst die guten Nachrichten zu verkündigen, die wir alle so dringend brauchen.
Welche Rolle spielt die Ökumene gerade im Hinblick auf das Reformationsjubiläum?
Eine sehr große Rolle. Wir gestalten das Jubiläumsjahr vom landeskirchlichen Eröffnungsgottesdienst am 31. Oktober, der übrigens auch in Backnang gefeiert wird, bis zum Reformationstag 2017 weitgehend ökumenisch. Ich bin sehr glücklich, dass das gelungen ist. Hoffentlich führt dieser gemeinsame Weg dazu, dass wir einander noch besser verstehen und noch mehr wertschätzen. Streit um die Wahrheit darf sein, aber die Profilierung einer Kirche auf Kosten anderer Kirchen, das braucht kein Mensch.
