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Wo die Milch auf Knopfdruck fließt

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Von Ute Gruber

MURRHARDT. Der neue Milchautomat ist der Renner. Schon vor Jahren hatten sich Tina und Dietmar Kiefer das Gerät bei einer Ausstellung angeschaut; die Lage ihres Milchviehbetriebes direkt an der Verbindungsstraße von Murrhardt nach Gaildorf bietet sich schließlich für eine Direktvermarktung an. Dennoch brauchte es noch den Anstoß durch die aktuell katastrophale Lage auf dem Milchmarkt, um den Schritt zu wagen: Bei 23 Cent pro Liter Milch sind derzeit die laufenden Kosten für die Erzeugung bei Weitem nicht gedeckt.

Dank der Milchpreiskrise können Verbraucher daher seit Ostern in Murrhardt-Hausen frische Kuhmilch direkt auf dem Bauernhof selber zapfen. Ein großer Spaß, vor allem für die Kinder, die mit ihren Eltern oder der Oma vorbeikommen: Da wird gestritten, wer heute rauslassen darf. Der Privilegierte steigt auf den Hocker, Türchen auf, Flasche rein. Geld einwerfen (80 Cent pro Liter), grünen Knopf drücken. Heraus strömt kühle, frisch gemolkene Milch. Aaaah. Danach noch ein kurzer Abstecher zu den Kälbchen, Klein-Rosi streicheln.

Größere Kinder kommen sogar alleine mit Fahrrad und Milchkännchen angeradelt. Andere Kunden schätzen die Lage am Hofeingang, wo sie selbstständig schnell ihre Milch holen können, „ohne jemanden groß belästigen zu müssen.“ Manchmal gebe es einen richtigen Stau, erzählt Tina Kiefer.

„Manche Leute holen gleich mehrere Liter und machen Joghurt oder Käse draus“, sagt Tina Kiefer, „das geht gut, weil man auch einen kleinen Kanister in das Fach stellen kann“. Der umgebaute, abschließbare Kühlschrank ist das geniale Produkt eines schwäbischen Tüftlers aus dem Welzheimer Wald. Der kann sich zurzeit vor Aufträgen kaum retten und hat eine mehrmonatige Wartezeit. So ist der Betrieb Kiefer in der Murrhardter Gegend laut Zuchtwartin Kirsten Jacobi momentan der einzige Besitzer eines Milchautomaten. „In Althütte-Fautspach bei Familie Markus und Gudrun Klenk, kommt im August noch einer dazu, die warten schon sehnsüchtig darauf. Aber hier in der Gegend liegen die Milchviehbetriebe eben fast alle oben auf dem Berg.“ Idyllisch zwar, aber ab vom Schuss. Vereinzelt gibt es noch Automaten im Wieslauftal und im Welzheimer Wald. Anders im Raum Ludwigsburg, wie Kollege Jens Schäfer es beschreibt: „Da schießen die Milchautomaten zurzeit wie Pilze aus dem Boden!“ Not macht eben erfinderisch...

Zwischen 8 und 19 Uhr kann in dem kleinen Häuschen an der Straße Milch gezapft werden. Danach wird gereinigt, gespült und die Kasse geleert. Die Milch ist naturbelassene Rohmilch, lediglich gefiltert und gekühlt. So darf sie der Erzeuger freilich nur direkt an der Hofstelle an den Verbraucher abgeben, das Erhitzen wird – laut vorschriftsmäßigem Aushang nach Lebensmittelhygieneverordnung – in die Verantwortung des Verbrauchers gelegt. Und was empfiehlt Familie Kiefer? „Nix“, erwidert Tina Kiefer, „das muss jeder selbst entscheiden.“ Und Ehemann Dietmar fügt hinzu: „Wir selbst haben die natürlich nie abgekocht, auch nicht für die Kinder. Aber wir sind’s auch gewohnt.“ Also vielleicht schluckweise herantasten?

Der Hauptteil der Milch wird nach der Abholung durch die Hohenloher Molkerei kontinuierlich untersucht: Inhaltsstoffe, Keimgehalt, Hemmstoffgehalt (das heißt Reste von Antibiotika oder Spülmittel). Letzteres führt bei positivem Befund zu empfindlichen finanziellen Einbußen für den Erzeuger. Tina Kiefer geht daher auf Nummer sicher und lässt jede behandelte Kuh zuerst untersuchen: „Dann bin ich mir ganz sicher, dass die Milch wieder in Ordnung ist.“

Vertreter des Veterinäramts

schauen immer mal wieder vorbei

Außerdem schaut sporadisch das Veterinäramt vorbei und kontrolliert die Hygiene des Milchautomaten und angebotener Milch. Unangekündigt, versteht sich. Bei hygienischer Gewinnung und rascher Kühlung hat Rohmilch einen natürlichen Keimgehalt von 5 bis 10000 Keimen pro Milliliter – im Idealfall lauter Milchsäurebakterien. Gerade diese werden von manchen Kunden geschätzt. Nikolaus Stiehl aus Murrhardt kommt regelmäßig zum Milchholen, seit er das Schild an der Straße gesehen hat: „Ich bin glücklich und dankbar, dass ich hier so gute Rohmilch kaufen und damit die Milchbauern unterstützen kann. Das dürfen Sie ruhig so schreiben.“ Und dann wird abgekocht? „Aber nein! Dann ist ja der gute Geschmack weg!“, entsetzt er sich und erklärt: „Ich lasse die Milch im Tonkrug in der Küche stehen, bis sie sauer ist. Das schmeckt herrlich, wie in meiner Kindheit.“ Bedauern würde er lediglich, dass er vor dem unerwarteten Fototermin nicht beim Friseur war und fährt sich dabei mit der Hand über die grauen Stoppeln.


            Direktvermarktung im wahrsten Sinne des Wortes: Tina Kiefer (links) und ihr Mann haben sich entschlossen, sich einen Milchautomaten anzuschaffen, um eine vertriebliche Alternative angesichts der schwierigen Preislage zu haben. Die Kunden freuen sich über das Angebot. Nikolaus Stiehl (rechts) kommt regelmäßig auf den Hof, um sich seine Portion abzuholen und die Landwirte so auch zu unterstützen. Foto: U. Gruber

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