Von Uwe Flegel
Wer den Titel will, der braucht „nicht nur Häuptlinge, sondern auch genügend Indianer“. Und deshalb steht für Rüdiger Rehm fest: Bei der Auswahl der richtigen Spieler ist die Fähigkeit zum Teamplayer ein wichtiger, gar entscheidender Faktor. In der Dritten Liga und der Nationalelf. „Löw legt nicht ausschließlich Wert darauf, die besten Spieler mitzunehmen, sondern das beste Team“, erklärt der 37-Jährige und glaubt, dass dieses Vorgehen ein Teil des Erfolgsrezepts sein kann. Denn: „Eine EM dauert vier Wochen. Da muss die Stimmung stimmen.“ Deshalb begrüßt es Aspachs Trainer, dass Löw den einen oder anderen jungen Perspektivspieler dabei hat. Die seien ehrgeizig und dadurch Garant, dass das Trainingsniveau hoch bleibt: „Das ist wichtig und wird manchmal unterschätzt.“
Den Einwand von Reiner Ebert, warum dann der 31-jährige Lukas Podolski dabei ist und nicht der 20-jährige Julian Brandt, der nun vielleicht gefrustet sei, lässt Rehm nur bedingt gelten. Podolski sei wegen seiner Art und Erfahrung wichtig fürs Gefüge. „Der weiß, worauf es bei solch einem Turnier auf und neben dem Platz ankommt.“ Und das sei bei der Nummer 20 im Kader wichtiger als andere Dinge. Rehm gesteht: „Ich habe mir bei der Art Kaderzusammenstellung von Löw schon was abgeschaut. Du brauchst Leader und Herausforderer.“ Bei einem jungen und hoch talentierten Kicker wie Julian Brandt dagegen sei es eventuell ja ganz gut, auch mal langsam zu tun. Entscheidend ist, „wie ich es dem jungen Spieler gegenüber kommuniziere“.
Auch die kritische Anmerkung von Michael Kovac, ob ein Shkodran Mustafi zu Recht im Aufgebot steht, kontert Rehm: „Mit dem machst du nichts falsch. Das ist ein guter Teamplayer.“ Zudem sei es auch eine Sache der Spielphilosophie, wie der gebürtige Heilbronner am Beispiel Außenverteidiger erklärt. Dort hätte sich Michelle Egner gut Hoffenheims Sebastian Rudy vorstellen können. Sie war „überrascht, dass der Bundestrainer ihn nicht mitgenommen hat“. Ex-Profi Rehm kann ihren Gedankengang nachvollziehen: „Bei mir würde Höwedes diese Position auch nicht einnehmen.“ Doch Fakt ist: Mit dem Schalker hinten links wurde Deutschland Weltmeister, also hat der Bundestrainer alles richtig gemacht, so Rehm. Ein Punkt, den Michael Kovac gern eingesteht: „Löw macht das schon.“
Die Arbeit des Schwarzwälders wird geschätzt. Das zeigt auch die von Kornelius Fritz zum Thema gemachte Nominierung von Bastian Schweinsteiger. „Löw kennt ihn sehr gut“, spricht sich Ebert für den lange verletzten Mittelfeldroutinier aus: „Im Verlauf des Turniers kann er in Form kommen. Die Mannschaft kann er sicherlich nicht mehr mitreißen, aber er ist ein Anführer. Und wenn so einer mal in der zweiten Halbzeit kommt, kann das schon etwas bewirken.“ Rehm stimmt zu: „Du brauchst Spieler, die wissen wie’s geht, die hinten anstehen und andere pushen oder auch mal runterholen. Ich nenne Schweinsteiger immer den Martin Cimander der Nationalelf.“ Sein einstiger Mitspieler zu Oberliga- und Regionalligazeiten des Sonnenhof sei auch so ein Typ. Einer, der den einen mal pusht, den einen oder anderen aber auch einnordet, wenn er aus der Reihe tanzt.“
Eine Erfahrung, die ein alter Fahrensmann des Fußballs wie Reiner Ebert kennt: „Sagt ein Mitspieler was, wirkt das ganz anders als wenn es vom Trainer kommt.“ Wobei sich für Kornelius Fritz die Frage stellt, wie wichtig so ein Leader ist und wie er sein muss. Für Ebert jedenfalls nicht wie Toni Kroos. „Der ist mir zu ruhig. Ich hoffe auf Sami Khedira.“ Kovac denkt an „Boateng und auch Hummels“. Und Rehm? Der sieht die Rollen eher verteilt: „Boateng, Khedira, Kroos gehen sicher nicht verbal, sondern spielerisch voran. Ein Thomas Müller, der mal unerwartet einen Ball zurückerkämpft. Ein Manuel Neuer, der von hinten heraus führt. Vielleicht gar ein Mario Gomez, der erwachsener und ausgereifter wirkt als je zuvor.“ Klar, dass Schalke-Mitglied Werner Lutz vor allem auf Gelsenkirchener baut. „Auf direkte und indirekte“, kontert er den Hinweis, das seien mit Leroy Sané und Benedikt Höwedes ja nur zwei. Er rechnet Julian Draxler und Manuel Neuer zum königsblauen Kontingent dazu und lästert zu den VfB-Fans Michael Kovac und Reiner Ebert rüber: „Auf jeden Fall sind’s mehr Schalker als Stuttgarter.“ Vor allem einen Spieler hebt Lutz hervor: Torwart Manuel Neuer, Ex-Schalker in Bayern-Diensten. Der sei lebenswichtig, „wenn man den Suppenkasper gesehen hat“, schimpft er über Marc-André ter Stegen und dessen Patzer beim 1:3 gegen die Slowakei.
Überhaupt überzeugten die Leistungen in den Testspielen wenig. Die Runde im Löwen ängstigt das nicht. „Holprige Vorbereitungen sind wir gewohnt“, bleibt Ebert ruhig und ist sicher: „Löw präsentiert Spieler und Team topfit. Er wird auch die eine oder andere Überraschung parat haben.“ Michael Kovac stimmt ihm bei: „Da geht was. Löw experimentiert gern und der Erfolg gibt ihm ja recht.“
Einig sind sich alle, dass Deutschland wenigstens ins Halbfinale kommt. Auch weil das auf 24 Teams aufgeblasene Feld Zeit zum Einspielen gibt. „Umso schlimmer, dass es Holland nicht mal geschafft hat“, sagt Aspachs Coach schmunzelnd. Von den deutschen Vorrundengegnern Ukraine, Nordirland und Polen wird am ehesten Polen was zugetraut. „Die haben mit Robert Lewandowski einen der besten Stürmer der Welt“, erinnert Rehm und warnt: „Unterschätzen darf man aber keinen. Beim 16er-Feld musste man von Anfang an Gas geben. Nun wird’s ab dem Achtelfinale richtig interessant.“
Gute Karten haben am Stammtisch vor allem Deutschland, Spanien und England. Ebenfalls hoch gehandelt werden Italien, Gastgeber Frankreich und Belgien. Wobei Ebert zweifelt: „Ich weiß nicht, ob sich Belgien nicht selbst zu viel Druck macht.“ Für Rüdiger Rehm und Michael Kovac kommt zu den Favoriten noch eine Überraschung dazu. Aspachs Trainer hat Island im Blick. „Die sind sehr robust und tun dem Gegner weh.“ Bei Kovac ist es eher die britische Note: „Auf Nordirland und Wales bin ich gespannt.“ Michelle Egner hält dagegen: „An Geheimfavoriten wie die Schweiz und Österreich glaube ich nicht.“ Skepsis, die Rehm bei Frankreich plagen: Der große Druck, den ein Gastgeber automatisch hat. Und vor allem: Viele klasse Einzelspieler, aber bei den vergangenen Turnieren definitiv keine echte Elf.
Sechs Teilnehmer hat der EM-Stammtisch unserer Zeitung. Vier Leser, Löwen-Wirt Werner Lutz und jeweils ein prominenter Fußballexperte diskutieren in Backnangs Traditionsgaststätte bis zum Endspiel am 10. Juli einmal pro Woche die Geschehnisse und Ergebnisse der Europameisterschaft. Vor allem haben sie die deutsche Elf im Blick.