Von Steffen Grün
Es dürften die Strapazen auf der Etappe vom zweiten ins dritte Hochlager gewesen sein, die Steffen Hirzel den Zahn zogen. „Da waren wir zwölf Stunden unterwegs und haben etwa 900 Höhenmeter gemeistert, größtenteils war es richtig steil“, erzählt der 27-Jährige. Rampen mit bis zu 80 Grad Steigung waren zu überwinden, „das hat viel Energie geraubt“, auch wenn mehrere Fixseile am Berg befestigt waren. Dazu noch die Last eines über 10 Kilogramm schweren Rucksacks auf dem Rücken – als der Bergfex aus dem Murrtal mit drei weiteren Mitgliedern seiner Gruppe um sechs Uhr abends das dritte Hochlager erreichte, waren die Kraftreserven aufgebraucht.
Er sank schnell ins Zelt und hoffte, am nächsten Morgen vielleicht wieder der Alte zu sein. „Ich habe nicht einmal schlecht geschlafen“, erinnert sich Steffen Hirzel an die Nacht auf knapp 7500 Metern im Himalaja. Als er aufwachte, kroch er aus seinem Schlafsack und machte den Test: War es ihm möglich, die letzten 1000 Meter in Angriff zu nehmen und den Sturm auf den fünfthöchsten Berggipfel der Welt zu starten oder war’s ratsam, es lieber bleiben zu lassen und den sofortigen Abstieg anzutreten? „Es wurde immer schlechter“, verrät der Sportler aus Backnang, „jeder Schritt hat extrem geschlaucht“. Weil er es grundsätzlich ablehnt, zum künstlichen Sauerstoff zu greifen, blieb ihm trotz guter Wetterbedingungen keine Wahl: Er brach den Versuch ab, nach dem Cho Oyu (8188 Meter) im Jahr 2014 einen weiteren Achttausender zu erklimmen. Seine Verfassung erlaubte es ihm ganz einfach nicht, „das war noch eindeutiger als vor drei Jahren am Broad Peak (8051 Meter), insofern war die Entscheidung in diesem Moment leicht“.
Obwohl es die drei Kameraden gepackt haben (zwei davon mit künstlichem Sauerstoff), hadert Hirzel auch im Nachhinein nicht mit seiner Entscheidung. Denn deren Richtigkeit bestätigte sich noch einmal, als „ein Arzt im Basislager meinte, es war ein beginnendes Lungenödem“. Zu den Merkmalen gehörte der rapide Leistungsabfall, „wäre ich weitergegangen, hätte sich vielleicht Wasser in der Lunge gebildet“. Dann wäre es gefährlich geworden, so blieb der Schwabe unversehrt – das ist das Wichtigste. Das wurde ihm richtig bewusst, „als ich von dem dritten Hochlager abgestiegen bin. Da habe ich erfahren, dass es im zweiten Hochlager zwei tote Sherpas einer anderen Gruppe gab“. Sie kochten, dösten etwas, schliefen ein und starben an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung, weil alle Lüftungsschlitze im Zelt dicht waren. Sicher ein tragischer Fall, aber für Hirzel kein Anlass, an seinem Hobby zu zweifeln, „so etwas ist für mich schwer greifbar“ und nicht vergleichbar mit einem Absturz eines Kollegen oder einem Lawinenabgang.
Auf „50:50“ beziffert er die Möglichkeit, noch einmal an den Makalu zurückzukehren, „gerade habe ich nicht das Bedürfnis,, aber ich will es für die Zukunft nicht ausschließen“. So wenig wie ein Abenteuer an einem anderen Achttausender, wenngleich Hirzel neben den vielen Reizen, die solche Trips auf ihn ausüben, auch an den hohen logistischen Aufwand denkt sowie daran, dass es „immer teurer wird“. Alternativen sind andere Kletterpartien – ob in den Alpen oder unter auch dem Hallendach. Etwas ganz Besonderes wäre eine Erstbesteigung – ja, das gibt es tatsächlich noch in einer Welt, in der beinahe jeder Winkel abgegrast ist. Einige Fünf- und Sechstausender und sogar ein Siebentausender seien noch unberührt, so der Backnanger, „dort musst du selbst die Route suchen. Er müsste nicht so hoch sein, aber technisch interessant“. Gibt es also irgendwann einen Mount Hirzel? Kann sein, sagt er und lacht. Sein Hauptmotiv ist es keinesfalls.