Von Annette Hohnerlein
BACKNANG. Es sind allesamt prächtige Exemplare: roter Klatschmohn, weißer Hibiskus, gelbe Rosen und blaue Iris. Im Mittelpunkt steht die Blüte, bildfüllend, akribisch ausgearbeitet, realistisch in einer Art und Weise, die an Illustrationen in alten Naturkundebüchern erinnert.
Der Blick fällt auf die Staubgefäße in der Mitte der Blüte, wandert über die zarten Fältchen und die gerollten Ränder der Blütenblätter, die Blattadern bis zu den einzelnen Härchen auf dem Stängel einer Mohnblume. Schön, gekonnt, faszinierend. Aber Thiels Malstil erschöpft sich nicht in ästhetischer Detailverliebtheit, er hat noch eine andere Dimension. Der Betrachter fühlt sich gefesselt und unwiderstehlich angezogen, ähnlich einer Biene auf Honigsuche. Einige der überdimensionalen Blüten wirken in ihrer Anziehungskraft fast bedrohlich wie eine fleischfressende Pflanze.
Den Blumenbildern zur Seite gestellt sind abstrakte Arbeiten, die mit diesen in Kontrast und gleichzeitig in Dialog stehen. Die Künstlerin erklärt das so: Das naturrealistische und das freie Malen ergänzen sich gegenseitig und bilden einen Spannungsbogen, „das macht die Balance in mir“. Dieser Spannungsbogen zieht sich durch die Ausstellung und bestimmt die Anordnung der Bilder. So hängt einem Bild mit leuchtend roten Mohnblumen ein abstraktes Gemälde mit dem Titel „Glut“ gegenüber, farblich verwandt, aber formal diametral gegensätzlich.
Diese große Bandbreite findet sich auch bei einem Thema, das großen Raum in Thiels Werk einnimmt: Wasser. Ein Strand-Stillleben mit detailliert ausgearbeiteten Muscheln wirkt wie die Illustration eines Romans, der am Meer spielt. Im gleichen Raum erinnert eine tosende Meeresbrandung in Blautönen mit pointilistisch aufgetragenen Gischtspritzern an eines der wilden Action-Painting-Gemälde von Jackson Pollock.
Ein erst kürzlich fertiggestelltes Bild zeigt eine hoch aufragende Steilküste in kräftigem Gelb, reliefartig geformt aus gefaltetem Papier, der Himmel darüber und das Wasser darunter leuchten in klarem Türkis. Auch dies eine Komposition, die ohne den Titel „Klippen“ als ungegenständliches Werk gesehen werden könnte.
Leider sind die Bilder durchweg mit weißen Passepartouts und weißen Rahmen versehen, was eine gewisse Sterilität ausstrahlt, die die Dynamik und die Heiterkeit mancher Gemälde beeinträchtigt.
Ernst Hövelborn, Vorsitzender des Heimat- und Kunstvereins, zitierte in seiner Einführung Aussagen Wassily Kandinskys zur Wirkung der Farben. Dieser beschrieb die Farbe als „eine übermenschliche Kraft, die den ganzen menschlichen Körper beeinflusst“.
Diese Wirkung macht sich Thiel zunutze. Sie verwendet überwiegend heitere, klare Farben und vermittelt damit eine optimistische Grundstimmung. Freude an der Natur und am Leben zieht sich als verbindendes Element durch ihr Werk. „Ein Bild muss mich positiv durch den Tag tragen“, sagt die Malerin, und genau diese Wirkung haben ihre Arbeiten, wie die Kommentare der Besucher zeigen.
Klaudia Thiel wuchs bei Baden-Baden auf und lebt heute in Kleinaspach. Nach dem Deutsch- und Kunststudium an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe unterrichtete sie an verschiedenen Schulen. Seit fünf Jahren ist sie im Ruhestand und widmet sich seither ganz der Malerei. Die Vernissage wurde musikalisch umrahmt von Alina Beckmann und Julius Bayón, beide Violine.
Die Ausstellung in der Galerie im Helferhaus, Petrus-Jacobi-Weg 5, ist bis Sonntag, 8. Mai, Dienstag bis Freitag von 17 bis 19 Uhr, Samstag und Sonntag sowie am 5. Mai (Himmelfahrt) von 14 bis 19 Uhr geöffnet.