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Die Sätze beschreiben Gemälde und Zeichnungen

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Von Christoph Rothfuss

BACKNANG. Es ist eine schöne Tradition, dass der Stuttgarter Pianist Karl-Friedrich Schäfer, der an der Backnanger Jugendmusikschule unterrichtet, alljährlich einen Klavierabend im Bürgerhaus gestaltet. Neben vielen aufmerksam lauschenden Klavierschülern hat sich Schäfer, durch jahrelange konstant hervorragende Interpretationen, ein Stammpublikum erarbeitet.

Die erste Hälfte des Konzerts bestritt der Pianist mit der Sonate A-Dur D 959 von Franz Schubert. Es ist Schuberts vorletzter Beitrag zu dieser Gattung und entstand zwei Monate vor seinem frühen Tod. Sie trägt in sich konzentriert alle Facetten des Schubert’schen Schaffens und ist in ihrem Gestus und Umfang sehr konzertant. Nach einem sehr kraftvollen und markierten Beginn leitet eine fahle Girlande in das so schuberttypische Suchen nach harmonischem Grund und Boden. Beim liedseligen Seitenthema kommen Schäfers nuancierter Anschlag und seine feinnervige Tastenkontrolle bestens zur Geltung.

Die gebündelte Dramatik der Durchführung wird wieder abgelöst durch die plötzlich hervorschimmernde Lyrik des Seitenthemas; engelsgleich entrückt schweben die Töne in der Diskantlage. Am Schluss des Kopfsatzes wird wieder ein unverzichtbares Element des österreichischen Komponisten hörbar: Das „Wandern“ auf verzweigten Pfaden war für Schubert immer auch eine Metapher für das Leben selber.

Der zweite Satz („Andantino“) stellt sich zunächst als nebelverhangene, melancholische Barkarole dar, deren Aussage Schäfer punktgenau trifft, bevor ein pianistischer Orkanausbruch erfolgt, der alles beinhaltet, was damals an dramatischer Expressivität auf dem Klavier möglich war: Chromatik, Oktaven, Triller und Arpeggien. Atemberaubend Schäfers Zugriff auf diese Stelle.

Das folgende Scherzo sprudelt lebenslustig; hier ist ein weiteres Merkmal der Schubert’schen Kunst zu erleben: ständig überraschende Modulationen, so subtil, dass sie ihm so schnell keiner nachmacht. Karl-Friedrich Schäfer bietet dies alles quicklebendig. Wunderschön, wie er im Trio die drei klanglichen Ebenen plastisch auseinanderhält.

Das abschließende Rondo gelang ihm als buntes Panorama, welches von einem innigen Thema dominiert wird, aber auch dunkle Abgründe und verwunschene Stellen nicht meidet.

Die musikalische Herangehensweise charakterisiert den Pianisten Schäfer, er stellt nicht sich, sondern stets die Musik in den Vordergrund. Dies wurde nun weiter deutlich: Denn bevor es in die Pause ging, gab der Pädagoge Schäfer mithilfe projizierter Bilder einen Ausblick auf die zweite Programmhälfte, die den „Bildern einer Ausstellung“ von Modest Mussorgski gewidmet war. Die Originalbilder von Viktor Hartmann, die Mussorgski in Musik gesetzt hat, sind heute nicht mehr alle zugänglich, und so verwendete Karl-Friedrich Schäfer Bilder, die die Stuttgarter Malerin und Komponistin Eva Schorr geschaffen hat. Er demonstrierte am Flügel Beispiele von Mussorgskis genialer klangsprachlicher Umsetzung – auch kleinster Details. Er tat dies so humorvoll, kurzweilig und informativ, dass der nachfolgende Klanggenuss und das Hörverständnis vertieft wurden.

Die Zerrissenheit des Gnoms

und die Melodie des Troubadours

Mit wuchtiger, pianistischer Manier meißelt Karl-Friedrich Schäfer das Promenaden-Thema in die Tasten, dass man aufhorchte. Der folgende Gnom wirkt erst ungelenk und dann unheimlich, Schäfer zeichnet die Zerrissenheit dieses Wesens präzise. Unter die Haut geht auch die untröstliche Melodie des Troubadours zur Drehleierbegleitung („Das alte Schloss“). Die Fröhlichkeit der spielenden Kinder in den „Tuilerien“ fängt der Pianist verschmitzt und gewitzt ein. Nun schien mit archaischer Wucht ein Ochsenkarren vorüberzuholpern, um sich langsam immer weiter vom Betrachter zu entfernen. Weitere Bilder werden hervorgerufen: Obwohl noch nicht geschlüpft, zwitschern und flattern die Küken um die Wette, Schäfer bewies gute Nerven bei diesem technisch kniffligen Stück. Ernst und tragikomisch „Samuel Goldenberg und Schmuyle“, luftig und heiter der „Marktplatz von Limoges“. Und dann ist man plötzlich unter der Erde in der schaurig-unwirklichen Szenerie der „Katakomben“.

Die Hexe „Baba Jaga“ unternimmt einige Anläufe, bis ihr Hexenritt an Fahrt aufnehmen kann, Karl-Friedrich Schäfer gestaltet ihn irrwitzig schnell und dämonisch rasend und leitet nahtlos über in „Das große Tor von Kiew“. Monumentale Architektur und ohrenbetäubendes Glockengeläut meint man hier zu vernehmen, sehr schön, wie kantabel Schäfer den Sopran des Choraleinschubes herausarbeitet. Das Publikum applaudierte lautstark; der Pianist gab eine Zugabe von Frédéric Chopin.


            Blumen für den Pianisten: Der Musikernachwuchs zeigt sich begeistert von Karl-Friedrich Schäfers Spiel. Foto: A. Becher

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