Von Armin Fechter
BACKNANG. Alle zehn Jahre, so war es bislang Übung, legt das baden-württembergische Kultusministerium neue Rahmenpläne für den Unterricht an den Schulen im Land vor. Dieses Mal hat es zwölf Jahre gedauert, bis das Werk abgeschlossen war.
Das liegt, so Harter, an dessen Struktur: Der Bildungsplan 2016 stellt „tatsächlich was Neues“ dar, weil er erstmals die verschiedenen Schularten Gemeinschaftsschule, Realschule und Gymnasium vereint. Die besondere Herausforderung bestand darin, die unterschiedlichen Niveaustufen herauszuarbeiten. Denn zu jedem Thema, das im Unterricht zu behandeln ist, macht der Plan seine Vorgaben auf grundlegendem, mittlerem und erweitertem Niveau.
Ein Beispiel aus dem Geografieunterricht der fünften/sechsten Klasse: Da sollen Schüler im grundlegenden Niveau lernen, die Lage der Kontinente und Ozeane zu beschreiben. Auf mittlerem Niveau gilt es dann, Lage und Größe der Kontinente und Ozeane darstellen zu können. Schüler im erweiterten Niveau schließlich sollen Lage, Größe und überdies die Form der Kontinente und Ozeane darstellen können. Die unmittelbare Gegenüberstellung im gemeinsamen Bildungsplan verdeutlicht dabei, wo die Unterschiede jeweils liegen.
Gerade diese Übersichtlichkeit lobt Karin Moll aus Sicht der Gemeinschaftsschule. Die Chefin der Backnanger Mörikeschule erkennt in dem Plan einen einfachen Leitfaden. Die Lehrer, die in der Gemeinschaftsschule alle drei Niveaustufen bedienen müssen, könnten auf einen Blick erkennen, was jeweils wichtig ist. Zudem erleichtere der Plan die Übergänge: Die Grundschulkolleginnen könnten genau sehen, worauf sie ihre Schützlinge vorbereiten müssen – sie haben in der Grundschule ja auch die ganze Bandbreite an Begabungen vor sich.
Plaisirschule arbeitet schon seit zwei Jahren nach dem neuen Plan
Grundschulrektorin Dr. Annedore Bauer-Lachenmaier wiederum bedauert, dass die verschiedenen Niveaustufen nicht auch im Bildungsplan für die Grundschule klar dargestellt sind. Die Plaisirschule als Erprobungsschule für den neuen Bildungsplan arbeitet bereits seit zwei Jahren mit dem neuen Werk – wobei Bauer-Lachenmaier festhält, dass sich in Mathe und Deutsch nichts fundamental geändert habe. Sie beklagt allerdings die Textlastigkeit des Plans und hat Sorge, dass sich der Fokus im Alltag nur auf das richtet, was unterrichtet werden muss, und andere Aspekte zu kurz kommen könnten. Ihr schwebt daher „ein ganz knapper Bildungsplan“ vor, der aber genauso aussagekräftig ist. Und vor allem fordert sie: weg von den Noten.
Dass der Bildungsplan 2016 nicht alles umwirft, was bislang Grundlage war, unterstreicht auch Heinz Harter aus Sicht der Realschule. Die Vorgaben seien eben weiterentwickelt worden, weil sich die Anforderungen, etwa aus der Wirtschaft und der Gesellschaft, verändert haben. Harter bedauert allerdings, dass die Abschaffung der bisherigen Fächerverbünde auch das Naturwissenschaftliche Arbeiten getroffen hat, in dem Biologie, Chemie und Physik vereint waren: „Wir hätten gerne NWA beibehalten.“
Andererseits gibt es jetzt in Klasse sechs den neuen Verbund Biologie/Naturphänomene/Technik. „Das macht Sinn“, sagt Harter, „weil die Zusammenhänge auf der Hand liegen.“ Den Bereich Technik einzubeziehen, greife die Realschule sogar gerne auf. Das habe auch mit der Historie dieser Schulart zu tun, die von „Realien“ ausging.
Eine zweite gravierende Änderung gibt es für die Realschulen mit der Einführung der Orientierungsstufe in den Klassen fünf und sechs. Dabei wird erst am Ende der sechsten Klasse festgelegt, ob der einzelne Schüler im mittleren oder im grundlegenden Niveau weitergeführt wird – und er habe, so Harter, auf seinem weiteren Weg auch die Chance, ins mittlere Niveau zurückzukehren.
„Relativ emotionslos“ sieht Christoph Mohr den Bildungsplan. „Er gilt jetzt, er wird umgesetzt“, sagt der Chef des Weissacher Bildungszentrums und dessen gymnasialer Abteilung lapidar. „Nichts anfangen“ kann er mit dem neuen Fach Wirtschaft – diese Themen seien bisher schon „gut aufgehoben“ gewesen. Kritisch sieht Mohr auch die neue Stundentafel, bei der sich in der zehnten Klasse viel zusammenballt – im bilingualen Zug ergäben sich möglicherweise sogar an die 40 Wochenstunden. Zugleich vermisst er für die unteren Klassenstufen das Fach Ethik für die vielen Schüler, die vom Religionsunterricht abgemeldet sind.
Dass es im Vorfeld lautstarke Proteste und Demos gegen den Bildungsplan gab, hat allerdings weniger mit den konkreten Einzelpunkten zu tun als vielmehr mit den übergreifenden Leitperspektiven, die von „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ bis zu „Prävention und Gesundheitsförderung“ oder „Berufliche Orientierung“ reichen. Sturm liefen die Bildungsplangegner wegen der Leitperspektive „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“, wobei es um Vielfalt „in personaler, religiöser, geschlechtlicher, kultureller, ethnischer und sozialer Hinsicht“ geht. Verschiedene Gruppierungen sahen darin einen Angriff auf die traditionelle Familie und befürchteten eine Sexualisierung der Jugend.
„In modernen Zeiten gehören Vielfalt und Akzeptanz dazu“
Doch das wurde, so Christoph Mohr rückblickend, viel zu hoch gehängt: Nach wie vor stünden die fachlichen Inhalte im Vordergrund, sagt er. Toleranz und Akzeptanz hätten schon früher zu den Bildungsinhalten dazugehört, erklärt Heinz Harter. Er empfiehlt, das Ganze „ruhig und besonnen“ zu sehen. Die Leitperspektiven „begleiten unser Tun und Handeln“, sagt Annedore Bauer-Lachenmaier – man habe sie immer im Hinterkopf. Und Karin Moll findet es „ganz toll“, dass die Leitperspektiven als überfachliche Kompetenzen „drübergelegt“ wurden. In modernen Zeiten gehöre Vielfalt und Akzeptanz dazu. Für eine Gemeinschaftsschule gelte in christlichem Sinne: „Alle haben hier ihren Platz.“




