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Geistesblitze und Pointenregen

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Von Carmen Warstat

BACKNANG. Als Dieter Hildebrandt am 20. November 2013 im Alter von 86 Jahren in München starb, hinterließ er ein letztes, fast fertiggestelltes Programm, das er unter dem Titel „Kommen Sie zum Schluss, Hildebrandt“ hatte auf die Bühne bringen wollen. Es liegt inzwischen in Buchform vor und wurde von einem langjährigen Kenner und Verehrer des berühmten Kabarettisten auf CD eingelesen: Die „Letzte Zugabe“ führte Walter Sittler jetzt in das nahezu ausverkaufte Backnanger Bürgerhaus, wo er ein Pointengewitter abfeuerte, das fast vergessen machte, dass sein Urheber, diese Instanz des politischen Kabaretts, nicht mehr unter uns ist.

„Wenn Dieter Hildebrandt selber hier wär’, säß’ ich jetzt unten bei Ihnen“, so Sittler. Noch im Jahr 2013 hatte Hildebrandt den Erich-Kästner-Preis erhalten, und es war seine damalige Dankesrede, mit der Sittler die Lesung begann. Hier wiederum zitierte der Kabarettist aus Kästners Rede „von der deutschen Vergesslichkeit“ (1954), die messerscharf den Nachkriegsblick auf den Widerstand gegen das Naziregime auseinandernahm und dessen Protagonisten würdigte.

In diesem Abschnitt des Programms noch bitterernst und von einer Komik, die eher das Blut in den Adern gefrieren lässt, nahm die Lesung sodann an Fahrt auf und ließ das lachende Publikum kaum noch zu Atem kommen. Da wurde kein Lebens- und Politikbereich ausgespart, und Walter Sittler verstand es, so zu lesen, als könne er Hildebrandt wieder zum Leben erwecken, ohne ihn platt zu imitieren.

Die feine und nuancierte Artikulation des Schauspielers erlaubte eine differenzierte und gegebenenfalls dialektsichere Darstellung der „Opfer“ Hildebrandts, die in allen Parteien zu finden, naturgemäß aber in der CSU besonders zahlreich waren. Der in Oberschlesien geborene Wahlmünchener Dieter Hildebrandt dazu: „Bayern hat hervorragende politische Köpfe – aber keine Wähler dafür.“ Und: „Zwei Mal habe ich den Bundespräsidenten mitwählen dürfen, aber immer den gewählt, der verloren hat.“ Oder: „Wähle ich falsch, oder sind’s die anderen?“ Unverhohlen ein Anhänger der alten SPD, nahm er auch die späteren Sozialdemokraten gnadenlos aufs Korn und machte sich – in außerordentlich witziger Manier – unter anderem über deren Sprachgebrauch her. Denn wo es eine „Denke“ gibt, müssen auch eine „Staune“ und eine „Stutze“ her.

Sittler las die geistreichen Dialoge exzellent trocken und ließ dem Publikum zum Lachen jeweils wenig Zeit, denn es ging fort und fort, die Pointen jagten einander. Dass er Hildebrandt regelrecht studiert haben muss, liegt auf der Hand: Sparsam dosiert, aber umso wirkungsvoller setzte Sittler das Hildebrandt-typische bewusste Stammeln und Stocken ein, das ein Sich-dumm-stellen zu sein scheint, welches die Wahrheiten wohl erst ganz entlarvt.

Verblüffend die Aktualität der Themen sowie ihre Vielfalt. Berliner Flughafen und Stuttgart 21, Kanzlerin Angie und Kohl, Gerhard Schröder und Putin, Waffenexporte und Kirchenskandale, die Klatschpresse und Werbung, Bohlen und Berlusconi, politischer Aschermittwoch und Maut, Beckenbauer und die Steuergerechtigkeit, Steuerparadiese und Hartz IV („Wo greift man sich da hin? – Da fasst man sich an den Kopf und greift ins Leere…“), Bankenrettung und Europawahn, Atommüll und Memoirenschwemme und ja – der Sport. Beißender Hohn ergoss sich auf die Fans verschiedener Disziplinen, denn Hildebrandt fand ’s einfach nur langweilig.

Auch die Morde des NSU hat Hildebrandt noch thematisiert und sprachbesessen wie er war, die Genialität jüdischen Humors dagegengestellt.

Es war ein Abend unbändigen Gelächters im Bürgerhaus mit einem, der es verstand, die ernstesten Probleme blitzgescheit zu erhellen, einem Großmeister des deutschen Kabaretts.


            Sparsam dosiert, aber umso wirkungsvoller setzte Walter Sittler das Hildebrandt-typische bewusste Stammeln und Stocken ein: Der Schauspieler bei seiner Lesung „Letzte Zugabe“.Foto: E. Layher

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