Von Ingrid Knack
MURRHARDT. Andreas Hantke und Ulrich Haberl stehen nicht im Verdacht, Kinderseelen durch anstößige Texte in einem Musical verletzen zu wollen. Von ihnen stammt das Werk „Martin Luther King“, das schon von einigen Schulen seit der Veröffentlichung des Stücks im Jahr 2012 aufgeführt wurde. Zum Beispiel vom Unterstufenchor des Werkgymnasiums Heidenheim. Von negativen Reaktionen ist bisher nichts bekannt.
In Murrhardt ist das Musical am Mittwoch um 18 Uhr in der katholischen Kirche zu sehen. Das Heinrich-von-Zügel-Gymnasium nimmt damit Rücksicht auf die Muslime unter den Schülern und Eltern, die sich eine Weihnachtsaufführung nicht nur mit christlichem Hintergrund wünschten. Dafür sollten Werte angesprochen werden, die universell sind. Wie könnte man es besser machen, als ein Musical auszusuchen, in dem Rassismus an den Pranger gestellt wird?
Thematisiert wird der Bus-Boykott in Montgomery, der Hauptstadt von Alabama im Süden der USA. Dort lebten um das Jahr 1950 über 40 Prozent Farbige. Dennoch gehörte Rassismus zum Alltag. Die Rassentrennung in öffentlichen Einrichtungen bezog sich auch auf die Nutzung von Bussen. Farbige, die den Großteil der Busnutzer ausmachten, mussten hinten sitzen. Wenn ein Weißer kam und kein Platz mehr frei war, hatten sie aufzustehen. Eines Tages passierte etwas bis dahin nicht Vorstellbares. Die 42-jährige Rosa Parks, eine Farbige, weigerte sich am 1. Dezember 1955, der Aufforderung eines weißen Busfahrers nachzukommen, ihren Platz einem weißen Fahrgast zu überlassen. Es folgten Verhaftung und später eine Geldstrafe. Doch da gab es einen Farbigen namens Martin Luther King, der entschlossen war, sich gegen Rassismus zu wehren. Der damals noch recht unbekannte King organisierte einen Bus-Boykott, der 381 Tage dauerte.
Der gewaltfreie Widerstand trug Früchte. Der Oberste Gerichtshof der USA hob die Rassentrennung in Montgomery auf. Der Beginn einer Bürgerrechtsbewegung, die sich immer mehr ausweitete.
Das Musical „Martin Luther King“ hat aber noch eine andere, ganz aktuelle Ebene. Marco und Lina fahren mit dem Bus zum Schulzentrum. Marco möchte, dass ihm ein „Türkenjunge“ Platz macht. Der Relilehrer bekommt die Szene mit und erinnert daran, dass er just an diesem Tag die Geschichte von Rosa Parks und Martin Luther King im Unterricht erzählt hat. Da fällt auch der Begriff Neger, der heute ein Schimpfwort ist, damals wurden aber alle Farbige so bezeichnet. Und wie es so ist auf dem Theater, wird das durch entsprechende Lieder verdeutlicht, die der Schulchor singt. Heutige Unworte inklusive.
Eine Dramaturgie, ohne die szenische Kunst nicht funktioniert. Zurzeit thematisiert beispielsweise das Dresdener Staatsschauspiel die islamfeindliche Pegida-Bewegung. Regisseur Volker Lösch nahm das Max-Frisch-Stück „Graf Öderland“ als Vorlage und lässt Pegida-Parolen vor allem vom Dresdener Bürgerchor proklamieren. Diese Pegida-Hasstiraden gehen genauso durch Mark und Bein wie Lieder wie „Weiß und Schwarz gehört getrennt“ in dem Musical „Martin Luther King“. Freilich darf man die Textpassagen nicht isoliert betrachten. In dem wertenden Kontext aber ist unmissverständlich klar: Unrecht wird da beim Namen genannt.
Verstehen das die Kinder? In Murrhardt wurde diese Frage von einzelnen Menschen verneint. Zumal es auch in der Walterichstadt ganz konkrete rassistische Äußerungen gibt – nicht jedes Kind, das im Chor mitsingt, bleibt davon verschont. Die Mobber könnten durch die Liedtexte noch im negativen Sinne neue Worte dazulernen, so eine der Befürchtungen. Henning Zimmermann, Leiter des Heinrich-von-Zügel-Gymnasiums, erklärt dazu, dass unschöne Vorfälle mit rassistisch geprägten Beschimpfungen nichts mit der Vorbereitung auf das Musical zu tun hätten. Schüler, die sich so verhielten, machten gar nicht mit bei der Aufführung. Wenn man diese Form des Mobbings auf das Musical zurückführe, sei dies nicht richtig, zwei voneinander getrennt zu sehende Gegebenheiten würden so unglückselig vermengt. Auch wurde Zimmermann mit der Forderung konfrontiert, das Stück abzusetzen. Das kommt für die Schule aber nicht infrage.
Das Musical ist für Schüler ab der vierten Klasse empfohlen. Das Heinrich-von-Zügel-Gymnasium in Murrhardt hat sich laut Zimmermann das Etikett „Schule ohne Rassismus“ und „Schule mit Courage“ angeheftet. Die Lehrer im Musik- und Religionsunterricht hätten ganz in diesem Sinne für die Problematik sensibilisiert, die in dem Musical angesprochen wird, erklärt der Schulleiter. Und: „Für uns ist das Stück so eindeutig als Lehrstück konzipiert, dass es keinen Spielraum gibt, diese Passagen fehlzuinterpretieren.“