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Wie Anderssein entstehen kann

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Von Yvonne Weirauch

BACKNANG. Seine Geschichtslehrerin war’s, die Julius nach den Sommerferien im vergangenen Jahr auf den Wettbewerb hingewiesen hat. „Ich wurde neugierig und entschloss mich zur Teilnahme“, erzählt der Elftklässler. Das Thema sei schnell gefunden gewesen. „Nur war es nicht so einfach, Kenntnisse über gemischt-nationale und -konfessionelle Ehen zu finden. Man geht nicht einfach ins Internet und findet dann zehn Webseiten, die einem das Thema näherbringen“, erläutert Julius das Problem. Im Gegenteil – eine Menge an Informationen aller Art stürzten auf den jungen Mann ein. Eines stand fest: Julius wollte das Thema am Beispiel seines Großvaters festmachen: „Mir war klar, dass die Ehe zwischen einem katholischen Spanier und einer evangelischen Deutschen Anfang der 1960er-Jahre in Deutschland etwas Besonderes war.“

Den mittleren Neckarraum prägte in den 1960er-Jahren nicht nur Fachwerk und evangelischer Pietismus, sondern auch ein beispielloser wirtschaftlicher Aufschwung: Die Region um Stuttgart gehörte zu den Motoren des deutschen Wirtschaftswunders. Um dem gestiegenen Bedarf an Arbeitskräften zu begegnen, wurden Gastarbeiter aus dem Ausland angeworben. Es kamen meist junge Männer nach Württemberg, die Arbeit suchten – und ein neues Leben begannen. So auch Pedro Bayón.

Julius Bayón untersuchte am Beispiel der Ehe seines Großvaters Pedro und seiner Großmutter, wie Anderssein entsteht und welche Folgen es – zwischen Ausgrenzung und Integration – für die Betroffenen hat. Der Schüler setzte sich intensiv mit der Forschungsliteratur zur Arbeitsmigration in die Bundesrepublik auseinander und führte Interviews mit Familienmitgliedern und Angehörigen der ersten spanischen Einwanderergemeinde. Der Titel seines Beitrags: „Zwischen Ausgrenzung und Integration: Gemischtnationale und -konfessionelle Ehen zwischen spanischen Gastarbeitern der ersten Generation und Deutschen“. Fast sechs Wochen hat der Gymnasiast über das Thema nachgedacht. Nach einigen Recherchen stellte der 17-Jährige fest, dass die bundesrepublikanische Gesellschaft der 1960er-Jahre gemischt-nationalen und gemischt-konfessionellen Ehen mit Skepsis begegnete und dass dies auch großen Einfluss darauf hatte, wie sich seine Großeltern in ihrem sozialen Umfeld selbst wahrnahmen. Ihre Sichtweise wurde dabei geprägt von Alltagsmomenten, etwa in der zurückhaltenden Aufnahme in die Familie des Gegenübers, aber auch von rechtlicher Benachteiligung. So konnten Pedro Bayón und seine Kinder die deutsche Staatsbürgerschaft erst 1975 annehmen.

Auch wenn die Geschichtslehrerin, die Julius tatkräftig in der Geschichts-AG als Tutorin zur Seite stand, aufgrund von Überstunden die AG nicht mehr stattfinden ließ, und diese Tatsache Julius aus dem Konzept brachte, hat der junge Mann es nie in Betracht gezogen, sein Vorhaben aufzugeben: „Dafür hat es mir viel zu viel Spaß gemacht.“

Julius suchte weitere Informationen in der Stuttgarter Landesbibliothek, führte Gespräche mit seinen Großeltern und weiteren Verwandten. Nach der Ausarbeitung einer Gliederung fing Julius kurz vor dem Jahreswechsel mit dem Schreiben an. „Das fiel mir leicht.“ Ein gewisser Zeitaufwand sei nötig gewesen, aber unter Druck habe er nie geschrieben. Das Recherchieren zum Thema und die Gespräche mit seiner Familie haben Julius Bayón auch einen ganz persönlichen Eindruck verschafft, auf den er stolz ist. Sein Resümee, das auch das Beispiel seiner Familie zeigt: Integration erfolgt durch persönliche Akzeptanz und durch den Wandel von gesellschaftlichen Einstellungen.

Noch stolzer macht es ihn natürlich, dafür auch ausgezeichnet zu werden. So wie Julius Bayón wählten rund 90 Prozent aller Teilnehmer des Geschichtswettbewerbs Beispiele, bei denen es um Stigmatisierung oder Verfolgung aufgrund des Andersseins ging. „Bei den Themen Flucht, Vertreibung und Asyl haben viele Schüler die aktuellen Entwicklungen aufgegriffen und engagierte Plädoyers für mehr Akzeptanz und Offenheit gehalten“, so Sven Tetzlaff, Leiter des Bereichs Bildung der Körber-Stiftung. Insgesamt 1563 Arbeiten wurden beim Geschichtswettbewerb eingereicht. Bundespräsident Joachim Gauck wird die Erstpreisträger – neben Julius sind es noch vier – heute Abend im Schloss Bellevue auszeichnen.

Die Erstpreise sind mit 2000 Euro dotiert. Neben den fünf ersten Preisen werden auf Bundesebene 15 zweite Preise (1000 Euro) und 30 dritte Preise (500 Euro) vergeben.

Übrigens: Julius möchte nach dem Abitur für ein Jahr nach Südamerika: „Da spare ich schon ein bisschen Geld an und das Preisgeld hilft mir da enorm weiter“, lacht er.


            Zielgerichteter Blick in die Zukunft: Julius Bayón möchte nach dem Abi für ein Jahr nach Südamerika. Foto: Körber-Stiftung/D. Ausserhofer

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