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Bearbeitungen für Akkordeon, Klavier und Sopran

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BURGSTETTEN (pm). In zweierlei Hinsicht war dieser Abend eine Besonderheit: Im Mittelpunkt stand eine außergewöhnliche „Winterreise“ von Franz Schubert. Und: Zum ersten Mal erklang in der Zehntscheuer ein Klavier für eine klassische Musikbegleitung, das von der Backnanger Jugendmusikschule als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt worden ist. Dieses Klavier war der Jugendmusikschule als Geschenk übergeben worden.

Wie lebendig Schuberts „Winterreise“ in der heutigen Zeit nach wie vor ist, zeigt sich an der großen Zahl von Bearbeitungen. Es gibt mittlerweile Fassungen für Streichquartett, Streichtrio wie auch für Bläser. Bemerkenswert ist auch Hans Zenders „Komponierte Interpretation“ für Tenor und 24 Instrumente, ganz zu schweigen von den Jazz- und Pop-Bearbeitungen. Angesicht dieser Bearbeitungsflut ist die Version des Liedduos Renate Brosch und Karl-Friedrich Schäfer für Sopran, Klavier und Akkordeon vergleichsweise eher unspektakulär. Die Wirkung ist jedoch groß.

Die fein ausziselierte Dramaturgie des Zyklus, die sich durch sechs klug platzierte eigene Transkriptionen für Akkordeon ergibt, zahlte sich aus. Vielleicht war es auch der historische Rahmen, der diese Aufführung so einmalig machte – eben nicht der große Konzertsaal, sondern der gut besuchte intime Rahmen einer alten Zehntscheuer, bei der die Lieder „Im Dorfe“ oder „Rast“, in dem der Wanderer „in eines Köhlers engem Haus hab Obdach ich gefunden“ einen vortrefflichen Bezugspunkt lieferte.

Renate Brosch gelang es mit ihrer lyrisch-dramatischen und höchst variablen Stimme, einen gewaltigen Spannungsbogen über die 70 Minuten des Zyklus zu ziehen, unterstützt durch die kongeniale Begleitung ihres Partners Karl-Friedrich Schäfer an seinen beiden Instrumenten, zwischen denen er bruchlos und traumwandlerisch hin und her wechselte.

Ob man diesen Zyklus nun mit einer Sopranstimme hören mag oder nicht: Die Puristen seien darauf verwiesen, dass seinerzeit schon Lotte Lehmann diese Lieder sang, aber auch Christa Ludwig.

Dies war an diesem Abend unwesentlich. Die Hell-Dunkel-Valeurs spielten sich auf der seelischen Ebene ab, die Renate Brosch in zahlreichen Facetten auslotete. Die weibliche Sichtweise auf diese Lieder ermöglicht gar eine „dissoziierte Haltung“, eine Distanz, die aber in voller Emotionalität den Zuhörer erschauern lässt. Den Zugang zu den einzelnen Liedern erleichterte den Zuhörern an diesem Abend im Programmheft eine kurze, präzis gezeichnete Zusammenfassung vor den Texten der jeweiligen Lieder: Beispielsweise heißt es dort vor dem Lied „Erstarrung“: Hier spürt der Reisende zum ersten Mal das ganze Ausmaß der Verzweiflung – eine drängende, beängstigende Dramatik. Diese Dramatik war dann auch in Renate Broschs Interpretation stärker zu spüren, als man es sonst zu hören gewohnt ist.

Nach dem berühmten „Lindenbaum“ erklang zum ersten Mal das Akkordeon: „Wasserflut“, dessen volkstümliche Anklänge durch den sehnsüchtigen Akkordeonklang verstärkt wurden.

Im folgenden Lied „Auf dem Flusse“ reizten die beiden Interpreten die Möglichkeiten von Stimme und Akkordeon aus. Die Erstarrung löste sich im nächsten Lied „Rückblick“ in getriebene Bewegung auf, wobei der einsetzende Klavierklang als kontrastierende Klangfarbe wieder neu erlebt werden konnte. Ganz verschiedene Ausdrucksmomente blitzten als Facetten immer wieder auf: Eine karge Leichtigkeit in „Irrlicht“, bleierne Depression bei der „Rast“, träumerische Weltflucht im „Frühlingstraum“ und nach innen gewandter Ausdruck bei der „Einsamkeit“. Dann wieder erlebte man den Kontakt mit der Welt bei der „Post“ sowie Ernstes und Groteskes beim „greisen Kopf“. Ein Anflug von Selbstmitleid „Letzte Hoffnung/Täuschung/Das Wirtshaus“ wurde deutlich. Das hinter allem liegende Elend wurde immer spürbarer. Beide Interpreten führten ihr Publikum immer mehr in einen Schwebezustand, der sich am Schluss noch einmal im „Leiermann“ verdichtete.

Man hätte sich sogar noch mehr Akkordeon-Begleitungen gewünscht. Das Instrument verstärkt, wenn es so gekonnt eingesetzt wird, auf ideale Weise das Gefühl der immer wieder durchscheinenden Depression: Hätte es das Akkordeon zu Lebzeiten Schuberts in dieser Form schon gegeben, hätte der Komponist sich vielleicht durchaus auch für eine solche Begleitversion entschieden.

Der „Leiermann“ wurde von den Interpreten in der Originalfassung belassen; denn zu genau hat Schubert diesen Klang schon mit Klavier vorgezeichnet. Sowohl die Akkordeon- als auch die Klavierklänge verwoben sich auf ideale Weise mit dem klaren, expressiven und textverständlichen Klang der Singstimme.

Man verließ den Saal mit dem Gefühl, auf das Gehörte und Erlebte immer noch keine Antworten zu haben: Sind die drei „Nebensonnen“ als Lebensphasen zu interpretieren – als Glaube, Liebe, Hoffnung? Das völlige Erlöschen alles Lebendigen? Bringt der Leiermann Tod oder Verheißung? Man weiß es nicht. Ein Fazit dieses Abends wird in dem Urteil von Gästen aus Frankreich treffend wiedergegeben: „Extraordinaire, superbe“.


            Sorgen immer wieder für hochkarätige Liederabende: Sopranistin Renate Brosch und Pianist und Akkordeonist Karl-Friedrich Schäfer. Foto: E. Layher

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