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Wehmütig und mit rebellischem Charme

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Von Heidrun Gehrke

BACKNANG. Die Schwoba-Folkrock-Band Wendrsonn veröffentlicht zum zehnjährigen Bestehen der Band ihren fünften Silberling „Geile Zeit“. Zu hören ist der Soundtrack zur Suche nach einer verlorenen Zeit, der eigenen Jugendzeit.

Schon das Cover hat Symbolkraft: Ein verrosteter VW-Bus, der Kult-Transporter T1, der für eine ganze Generation der „Schlüssel zur Welt“ war. Das Foto ist ein Fundstück aus dem Internet, das Sänger Markus Stricker gleich mal selbstironisch kommentiert: „Wir rosten ja auch vor uns hin.“ Er verweist stolz auf das Booklet, gestaltet von einer Stuttgarter Künstlerin, das zurückführt in eine Zeit, in der schlecht frisierte Langhaarmatten und Leopardenhosen nicht peinlich waren. Der Subtitel zu diesen Bildern könnte lauten: Schau mal, das waren wir, und wo ist die Zeit hin? Der Frage, wo die „geile Zeit“ hin ist, gehen Wendrsonn in 13 Songs nach: In ihrer unverkennbar erdigen, reellen, rockigen Machart mit instrumentaler Vielfalt und schwäbischen Texten.

Eine sehnsüchtig wimmernde Mundharmonika leitet den Song „Dr letzte Rock’n’Roller“ ein. „Sein persönlichstes Lied“, erzählt Stricker, rechne mit einem Lebensgefühl ab, das für ihn immer noch Wärme abstrahlt: „Wir waren jung und haben in Parkas gegen Pershings demonstriert.“ Der Parka war ein Symbol, heute gibt es die Jacke neben Che-Guevara-T-Shirts als Massenkonsumprodukt.

„Damit geht ein ganzes Lebensgefühl den kommerziellen Bach runter“, beklagt Stricker, Vertreter einer Generation, die auch um einen Mythenverlust trauert. „Heute gehen Jugendliche auf den Wasen, morgen zum Headbangen nach Wacken, übermorgen auf eine Schlagerparty.“ Das bringe ihn dazu, der Welt entgegenzusingen: „Der Kommerz frisst die alten Helden, der Goldesel kackt sie wieder aus.“ Junge Menschen wie er wurden mit der Musik, die nach Rebellion und Subkultur klingt, sozialisiert. Stricker fühlte sich im Rock’n’Roll verstanden, die neue CD „Geile Zeit“ will diese Identitätsstiftung verstehbar machen.

Ein schmaler Grat ist es, dabei nicht wehleidig zu klingen, doch dank der schwäbischen Mundart rutschen die Songs nicht ab in kuschlige Verklärung. So ist auch „Baggana“ eine geradlinige Liebeserklärung an Strickers „schnugglige“ Heimat Backnang, an der er die nicht überall geschleckte Fassade liebt („Oh du bisch a bissle schmuddlig“), aber ebenso das „Herz“, den „Blues“ und das „ganz bsondre Feeling“ der Stadt.

Was er gerne machen würde, wenn er die Zeit zurückdrehen könnte? „Um die Welt reisen, Rucksack packen und zwei Jahre losziehen“, antwortet er spontan. Was er aus dieser Zeit nicht sehr vermisst? „Das Kleinkarierte und die Geister meiner Jugend.“ Was vermisst er sehr? „Die selben Geister meiner Jugend“, meint er lachend. Denn es seien auch Inspirationsquellen gewesen. „Wir konnten kreativ sein, die Rebellion hat Kraft gekostet, aber auch viel Kraft gegeben.“ Ein zeit- und altersloser Moment stellt sich im 2009er-Song „Da ben i dahoim“ von der CD „Woisch no“ ein, der für „Geile Zeit“ neu aufgenommen wurde. Mit neuen Gitarrenlicks in einem modernen musikalischen Gewand, mit melancholischem Cello zu Beginn, tiefen weichen Streichern und einer erdigen Dynamik. „Wir bleiben bei der Sprache, die wir gelernt haben, denn nur dann sind wir echt“, sagt Stricker, der einen Großteil der Songs und alle Texte geschrieben hat. Der musikalische Rückblick der Multi-Instrumentalisten auf die „geile Zeit“ ist wehmütig, mit Herz komponiert und an vielen Stellen von rebellischem Charme getönt. Mal auf der Lachschiene, mal in getragenem Ernst decken die Songs alle Emotionen ab, die in der Versenkung verschwunden sind, sich aber vielleicht bei Zeilen wie „Han di fast scho nemme kennt“ oder „An manche Stellä scho ganz ramponiert“ wieder regen. Denn anders als der T1 auf dem Cover rostet die gute alte „geile“ Zeit niemals.

Die CD-Präsentation ist heute um 20 Uhr im Stuttgarter Theaterhaus.


            Veröffentlichen zum zehnjährigen Bestehen der Band eine neue CD (von links): Gitarrist Micha Schad, Markus Stricker mit Akkordeon, Drummer Heiko Peter, Sängerin Biggi Binder, Geiger Klaus Marquardt und Bassist Ove Bosch. Foto: J. Fiedler

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