Von Matthias Nothstein
WAIBLINGEN/WINNENDEN. Wie geht man im Rems-Murr-Kreis mit Flüchtlingen um, wie in Meißen? Beide Kreise stehen vor ähnlichen Herausforderungen, haben aber gänzlich andere Lösungen. Die Aufgaben lauten: Im Rems-Murr-Kreis müssen in diesem Jahr 2500 Asylbewerber untergebracht werden, im (kleineren) Kreis Meißen etwa 1800. An Rems und Murr kämpfte Landrat Johannes Fuchs zwar für eine dezentrale Lösung, aber es gibt doch mehrere Gemeinschaftsunterkünfte. Aufgrund der großen Zuweisung zwangsläufig. Bei einem Pressegespräch im Klinikum Winnenden sagte Fuchs: „Der Rems-Murr-Kreis hat den richtigen Weg eingeschlagen. Die Flüchtlinge werden gemeindenah, dezentral und in kleinen Einheiten untergebracht.“ Die Polizei sieht es laut Fuchs genauso. Sie bestätigt, dass es große Probleme mit großen Unterkünften gibt, so etwa in Ellwangen oder Meßstetten. Fuchs: „Ähnliches hätte uns auch gedroht, wenn wir die Krankenhäuser in Waiblingen und Backnang belegt hätten.“ Beide Gebäude waren überhaupt nicht für solche Zwecke gebaut, die Infrastruktur war ungeeignet und der Ghettocharakter wäre vorprogrammiert gewesen.
In Meißen gibt es einige Unterschiede. Das fängt schon mit einer konsequenten Abschiebepolitik an. Vermutlich ein effizienter Weg, wenn man bedenkt, dass 92 Prozent der Asylbewerber eine Wahrscheinlichkeit von weniger als drei Prozent der Anerkennung haben. Doch Landrat Arndt Steinbach relativiert, „was hilft es, wenn sie 50 oder 70 abschieben, und im selben Zeitraum kommen 400 neue dazu?“. Dennoch plädiert er für eine noch schnellere Rückführung von nicht berechtigten Antragstellern.
Ulrich Zimmermann ist der zweite Beigeordnete im Landratsamt Meißen und damit der für Asyl zuständige Dezernent. Er hat die Möglichkeit, Asylbewerber in kommunalen Wohnungsbaugesellschaften unterzubringen. Das geht relativ einfach, weil es im Osten viele Leerstände gibt. Zudem können die Mietverträge sehr flexibel gestaltet werden.
Ein weiterer Unterschied ist die Akzeptanz der Fremden. Zimmermann kann es beurteilen, weil er ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen stammt. Im Westen würden Ausländer zum normalen Straßenbild gehören. Im Osten hingegen ist die Akzeptanz geringer, „der Rechtsextremismus ist sehr ausgeprägt“. 30 Prozent der Rechtsextremen kämen alleine aus Sachsen, berichtete Zimmermann. Gleichzeitig beruhigte er jedoch, „es liegt keine akute Gefahrenlage vor“.
West-Landrat Johannes Fuchs sah dies in der ganz anderen Historie der beiden Bundesländer begründet. Im Landkreis Meißen beträgt der Ausländeranteil 3 Prozent, im Rems-Murr-Kreis sind es 11 Prozent, und 25 Prozent der Bevölkerung in der Region Stuttgart haben einen Migrationshintergrund. Ausländer gehören zum Straßenbild. Im Osten hingegen sehen arbeitslose Jugendliche in den Flüchtlingen oft auch Konkurrenten um Arbeitsplätze.
Joachim Frey, der Geschäftsbereichsleiter für Besondere Soziale Hilfen im Rems-Murr-Kreis, geht von 2500 Zuweisungen von Asylbewerbern in diesem Jahr für den Landkreis aus. Mindestens. Die Zahl basiert auf der Annahme, dass Deutschland 450000 Flüchtlinge aufnehmen wird. Es gibt aber auch Hinweise, dass es am Ende 600000 Flüchtlinge in diesem Jahr sein werden, mit entsprechenden Auswirkungen auf den Kreis, der laut Vorgabe vier Prozent der Asylbewerber aufnehmen muss, die in Baden-Württemberg ankommen.
Die Gemeinden haben erkannt, dass sie Vorteile haben, wenn sie Gemeinschaftsunterkünfte anbieten. Dann nämlich erhalten sie einen Bonus beim Thema Anschlussunterbringung. Zwei Jahre lang ist der Kreis für einen Flüchtling zuständig, dann ist den Asylbewerbern nicht mehr zumutbar, in Gemeinschaftsunterkünften zu wohnen. Sie kommen in die Anschlussunterbringung, für die die Gemeinden zuständig sind. Insgesamt leben derzeit 2300 Asylbewerber im Kreis, 1800 davon in Gemeinschaftsunterkünften. Laut Frey gibt es keine freien Kapazitäten mehr. Dennoch kommen pro Monat 300 neue Flüchtlinge. Im Moment funktioniert die Unterbringung eben noch so, aber es liegen Pläne in der Schublade, wieder kreiseigene Hallen zu belegen. Möglich wäre dies in den Berufsschulzentren Backnang, Waiblingen und Schorndorf. Wann und wo der Kreis auf diese Notpläne zurückgreift? Keiner der Verantwortlichen gab eine Antwort.
Laut Frey gibt es Überlegungen, gute Ideen aus dem Landkreis Meißen zu übernehmen. Die Möglichkeit, Flüchtlinge in Wohnungen unterzubringen zählt eher nicht dazu, das ist im Großraum Stuttgart zu teuer. Aber freie Träger mit der Betreuung zu beauftragen, so wie in Meißen der Fall, wäre eine Option. Frey: „Ohne Ehrenamtliche könnten wir die Betreuung heute schon nicht mehr erledigen.“ Als Beispiel führte er Urbach an. Dort sind 40 Asylbewerber untergebracht. Und 50 Ehrenamtliche kümmern sich um sie. Dieses Denken gibt es laut Steinbach auch im Landkreis Meißen, allem rechtsextremen Gedankengut zum Trotz. So berichtete er von einem Dorf mit 150 Einwohnern, wo über 300 Menschen bei der Infoveranstaltung gegen die Unterbringung von Asylbewerbern demonstrierten. Als die ersten Flüchtlinge dann ankamen, wurden sie von den Nachbarn mit Salz und Brot begrüßt.