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Selbstbestimmung trifft Gemeinschaft

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Von Christine Schick

MURRHARDT. Brita Lieb wird im Rahmen des Semesterschwerpunkts der Volkshochschule Murrhardt „Freiheit“ über die Beginenbewegung damals und heute sprechen. Im Interview gibt sie vorab Einblick in die spannende Thematik und ihr bewegtes Leben. Sie ist Initiatorin des Beginenhofs in Bochum.

Sie sind ja selbst Begine. Bitte erzählen Sie doch, wie Sie mit der Bewegung in Kontakt kamen und warum Sie sich dann entschlossen haben, ein Teil von ihr zu werden.

Ich war damals nach meiner Ehe als evangelisch-feministische Theologin in einem katholischen Männerkloster. Ich traf bei Veranstaltungen immer wieder auf eine ältere Dame. Das war Gertrud Hofmann, die mir erzählte, wie wichtig die Beginenbewegung für unsere Zeit sei. Sie suchte dringend eine Nachfolgerin. Die heute 94-Jährige hat früher in ganz Deutschland die Beginenbewegung wiederbelebt. Ich habe dann eine Art Bewährungsprobe bei einigen älteren Beginen bestanden. Später war ich lange Vorsitzende von Beginen heute e.V., dann sechs Jahre im Vorstand des Dachverbands der Beginen, der 2004 gegründet wurde. Es schloss sich meine Forschungsarbeit an und aktuell die Entwicklung von Beginenreisen.

Sie sind studierte Theologin?

Ja, aber ohne Abschluss, ich bin feministische Theologin. Das war damals gar nicht studierfähig. Da haben wir in Werkstätten gearbeitet, Frauengottesdienste und Jahreskreisfeste veranstaltet und vieles mehr. Zu der Zeit, in der ich im Kloster als evangelisch-feministische Theologin war, habe ich katholische Theologie in Münster studiert. Einen Abschluss brauchte ich nicht mehr, weil ich mit den Priestern sowieso schon zusammengearbeitet habe und damals Schulseelsorgerin an unserem Gymnasium war.

In dieser Zeit haben Sie auch die Beginen wiederentdeckt?

Typisch für Beginen ist, dass sie keine geraden Biografien haben. Das trifft auch auf mich zu. Was ich noch nicht erwähnt habe, ist, dass ich in Köln mit einem Universitätsprofessor für Jura, Arbeits- und Wirtschaftsrecht verheiratet war, und drei Kinder hatte, dann geschieden wurde, zehn Jahre alleinerziehende Mutter war, bevor ich ins katholische Männerkloster ging.

Das heißt, Sie haben nach zehn Jahren als alleinerziehende Mutter ein Studium begonnen und sich in der Beginenbewegung engagiert?

Als die Kinder das Haus verlassen haben, war ich Mitte 40. Ich bin neu durchgestartet, habe meinen Kindern gesagt, ihr dürft studieren und ich darf auch studieren. In unserer Gemeinschaft als Beginen haben wir Witwen, Geschiedene, Nie-verheiratet-Gewesene und alleinerziehende Mütter. Sie zu unterstützen, ist uns wichtig. Das Leben fördern in jeder Weise genauso wie Frauenbildung, Frauenkultur, Frauenliturgien.

Die Beginenbewegung entstand ja im 12. Jahrhundert. Ich finde diese Form faszinierend. Es gab kein Gelübde, dafür wählte die Gruppe eine Frau, die ihr vorstand. Beginen waren als Lebens- und Arbeitsgemeinschaften wirtschaftlich relativ unabhängig. Warum glauben Sie, hat das Modell dann doch wieder an Einfluss verloren?

Also der erste Einbruch war die Reformation, der zweite die Säkularisation unter Napoleon. Während der Reformation haben die Stadtherren das Vermögen der Beginen eingezogen, es dem Armenkasten überstellt und die Frauen als Pflegerinnen angestellt. In die nicht voll belegten Häuser haben sie Pfründnerinnen oder Pfründner (Menschen, die nicht mehr im Arbeitsleben standen) aufgenommen, die zwar einmalig etwas bezahlt haben, aber dann ein Leben lang gepflegt werden mussten. Das war finanziell und ideell eine völlig andere Situation: Die Arbeit basierte nicht mehr auf Freiwilligkeit. Sie waren nur noch Angestellte mit einem kleinen Gehalt.

Das heißt, man hat die Frauen enteignet und ihnen die Selbstbestimmung genommen?

Ja, schrittweise, aber das war wirklich drastisch. Die Kirche hat den Beginen gesagt, ihr habt unseren Schutz, wenn ihr Drittordensfrauen werdet. Aber in dem Moment haben sie keine Steuern mehr bezahlt wie alle Ordensleute bis heute, sprich, sie verloren den Schutz der Städte.

Mitte der 1980er-Jahre gab es so etwas wie ein Comeback der Bewegung. Wo gibt es Überschneidungen zum modernen Feminismus? Wie viel Alice Schwarzer steckt in der Beginenbewegung?

Also, die zweite Frauenbewegung ist ja eine Folge der 1968er-Jahre, und dort war ich von Anfang an aktiv, wobei für mich auch mein christlicher Hintergrund entscheidend war. Heute können junge Frauen jede Schule besuchen, die sie besuchen wollen, können ganz selbstverständlich studieren, sind mit den Männern auf Augenhöhe und auch sprachlich repräsentiert. Jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem die Beginenhöfe eine neue Antwort sein können. Es gibt nun selbstbewusste Frauen, die im Beruf stehen, aber wenn sie abends nach Hause kommen, allein sind. Sie müssen sich anstrengen, um mit anderen in Kontakt zu kommen, fragen sich, soll ich jetzt mein Geld ausgeben, damit ich überhaupt mal unter Leute komme? Fragen sich, was wollen wir eigentlich als Frauen?

Das heißt, es geht um die Frage, wie wollen wir als Frauen leben?

Wie wollen wir leben, jetzt wo wir es endlich selbst bestimmen können? Und manche kommen dann dahin, dass sie sagen, wir wollen nicht immer nur als Individualistinnen leben, sondern wünschen sich Gemeinschaft. Gemeinsam kochen, gemeinsam feiern, Chortreffen oder andere kreative Dinge machen. Und wir wollen uns da gegenseitig korrigieren, inspirieren und miteinander neue Dinge entwickeln.

Dazu gibt es ja auch konkrete Projekte.

Wir haben in 14 Jahren 14 Beginenhöfe allein in Deutschland gebaut und zwei Stiftungen gegründet, Wohnraum für 500 Frauen plus Kinder.

Frau könnte ja auch ganz pragmatisch sagen, in diesen Beginenprojekten sind wir in der Lage, unsere nicht immer ganz einfache Zukunft zu sichern, mit wenig Rente in Wohngemeinschaften ein Auskommen finden. Ist es vielleicht deshalb auch ein wichtiger, neuer, notwendiger Ansatz?

Da haben Sie etwas ganz Schwieriges angesprochen. Also es gibt zwar sozial geförderte Wohnungen beziehungsweise Projekte, aber Beginen waren nie arm und sie sind es auch heute nicht! In Belgien gibt es heute noch eine besondere Form der Beginenhöfe, die sogenannten Godshuizen, wo geschlagene, vergewaltigte, obdachlose Frauen aufgenommen wurden. Später konnten sie auch selbst Beginen werden, aber erst, wenn sie drei Jahre lang bewiesen haben, dass sie von ihrem eigenen Geld leben konnten. Da wird ganz deutlich: Frau wird als Begine ein Leben lang durch die Gemeinschaft getragen, aber nur wenn sie ihre Selbstständigkeit und Unabhängigkeit bewiesen hat. Dazu zählen nicht die Menschen, die vor lauter Armut den Kopf nicht heben können, so hart das jetzt auch klingt.

Inwiefern hat die Lebensform auch heute noch eine frauenpolitische Dimension?

Ein Beginenhof ist ein Schutzraum für Frauen. Wir hatten vielleicht mal eine Busenfreundin, aber garantiert keine gemeinschaftliche Wohnformen, die natürlich politisch ein anderes Gewicht haben, als wenn eine Frau für sich allein kämpft.

Sie meinen schon allein die Tatsache, dass frau in einer Gruppe lebt?

Ja, ein Beginenhof mit 25 Frauen hat ein anderes Gewicht und frau kann sich anders rückversichern. Insofern sind die Höfe auch ein Politikum. Ich persönlich lebe nicht in einem Beginenhof, sondern ein anderes Modell, ich bin – jetzt lachen Sie bitte – die Kellerin oder Kellnerin eines katholischen Priesters. Das gab es im Mittelalter auch schon, ein Kanoniker-Stiftsherr hatte eine Begine als Kellerin, die die Schlüsselgewalt über die Vorräte und das Hauswesen hatte.

Heißt das, Sie führen die Hauswirtschaft eines katholischen Priesters?

Ja, aber ich bin auch pastorale Mitarbeiterin und als Theologin ebenso Gesprächspartnerin. Wir leben ein zölibatäres, aber partnerschaftlich gleichwertiges Miteinander. Wir inspirieren uns genauso, wie ich mir das vom Beginenhof wünsche, aber nicht überall sehe.

Was sagen Sie, warum ist ein Frauentag bei uns immer noch wichtig in einer Zeit, in der Frauen dieselben Rechte wie Männer haben?

Stimmt ja überhaupt nicht! Frauen haben nicht dieselben Rechte, wir haben 100 Jahre gekämpft, dass wir überhaupt einen eigenen Beruf wählen können. Es gibt noch Unterschiede bei den Löhnen, und es gibt sexuelle Übergriffe – von der Uni angefangen bis in die hübschen Chefetagen. Nicht nur Frauen auf internationaler Ebene oder Flüchtlingsfrauen, auch Frauen in Deutschland haben jeden Grund, sich gegenseitig Mut zu machen und Widerstand zu leisten gegen Übergriffe jeglicher Art. Frauensolidarität ist noch nicht überall selbstverständlich.


            Brita Lieb (rechts) gemeinsam mit Angelika Wessel im historischen Beginenmantel. Die Aufnahme ist 2016 bei einer Beginenreise entstanden, die die Frauen unter anderem nach Tübingen führte. Dort gibt es ebenfalls einen Beginenhof, ein zweiter ist in Planung. Foto: privat

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