Von Sarah Schwellinger
BACKNANG. Die Säge kreischt auf, ein Stück Holz fällt zu Boden. Im Container laufen die Akkuschrauber rund, im Hintergrund läuft Musik.
Seit Montag schaffen etwa 15 Jugendliche an und in einem Schiffscontainer, der auf dem Parkplatz des ehemaligen Gehörlosenheims der Paulinenpflege steht. Der Container bietet Raum für eine multimediale Ausstellung, die eine Flucht, wie sie ein Teil der Jugendlichen erlebt hat, nachvollziehbar macht. Das Projekt trägt den Namen „Roadshow“ und wurde vom Kubus-Verein mit den Jugendlichen für Schulklassen entwickelt. Alle beteiligten deutschen Jugendlichen besuchen Backnanger Schulen. Die jungen Geflüchteten leben in Backnang, Weissach im Tal, Auenwald, Aspach und Spiegelberg. Ein Großteil von ihnen ist ohne Eltern hier.
Mittendrin im Geschehen stehen die Weissacher Künstler Fabian Baur und Peter Haußmann, die den Umbau leiten und den Jugendlichen das Handwerk näherbringen. Der Schiffscontainer ist mit der eingezogenen Holzwand längs geteilt. Die eine Hälfte ist wiederum in drei Räume unterteilt. Am Eingang stehen zwei blaue Weichbodenmatten, die sich nach hinten verengen. „Der Eingang soll die Besucher auf die Flucht einstellen und sie erlebbar machen. Sie müssen sich auf Gegebenheiten einlassen und den Widerstand erfahren“, sagt Haußmann. Der zweite Raum erinnert an eine Gefängniszelle, in der die Flüchtlinge teilweise mehrere Monate verbringen müssen. „Wir denken da an Länder wie Rumänien oder Bulgarien. Da kann es finster sein und plötzlich das Licht angehen.“
Die Jugendlichen fertigen aus Holzlatten die Gitterfenster für die Zelle. Rahmatulla und Mohammad schrauben mit viel Geduld und Fingerspitzengefühl die Latten präzise zusammen. „Rahmatulla ist jeden Tag schon vor mir da“, sagt Haußmann. „Dann schließen wir den Container auf, öffnen die schweren Flügeltüren. Das ist jetzt schon Ritual.“
Das Konzept für den Innenausbau des Containers hat Peter Haußmann anhand der persönlichen Erinnerungen der Jugendlichen gestaltet. „Eine Flucht ist ein gewaltiges Wagnis. Da muss man durch, denn es gibt kein Zurück“, sagt Haußmann und blickt zu Anwar Nakkar, der als syrischer Sozialpädagoge das Projekt unterstützt und jetzt bekräftigend nickt: „Immer nur nach vorne schauen.“ Vor allem das Gefühl des Ausgeliefertseins während einer Flucht und die Ungewissheit solle im Roadshow-Container den Besuchern vermittelt werden.
Zum Erlebnis im Container trägt auch die „Roadshow“-Theatergruppe ihren Teil bei. Mithilfe der Schauspieler Wilhelm Schneck und Kathrin Hildebrand vom Stuttgarter Theater Lokstoff haben die Jugendlichen eine afghanische Fluchtgeschichte zusammengeschrieben. Die bildet dann die Grundlage für die Führung. Zudem werden Töne, Geräusche und besonderes Licht kommen, um die Situation noch reeller, noch nachvollziehbarer zu machen.
„Das Projekt ist sehr vielschichtig“, findet Bildhauer Peter Haußmann
„Das Projekt ist so vielschichtig“, sagt Peter Haußmann, „durch die gemeinsame Arbeit mit den Leuten kommt man gut zusammen, lernt sich kennen, bekommt die persönlichen Geschichten mit.“ Auch von der handwerklichen Begabung mancher Jugendlichen ist der Bildhauer begeistert: „Einige haben schon Praktika gemacht, haben in ihren Heimatländern handwerkliche Arbeiten erledigt.“ Zum Beispiel hat sich Roland um das Bohren in Metall gekümmert. „Er kann auch schon richtig gut Gewinde drehen“, lobt Haußmann. In dem Moment kommt Roland um die Ecke und erzählt, dass er schon in seiner Heimat Nigeria öfter solche Arbeiten erledigt hat. An diesem Tag hat er eine ganz andere Aufgabe: Er holt Holz und macht ein Feuer. Die Gruppe will zum Mittag gemeinsam grillen.
BKZ-Leser unterstützen „Roadshow“ mit ihren Spenden
Die Jugendlichen haben in den Ferien täglich die Zeit genutzt, aus dem schlichten Schiffscontainer die „Roadshow“-Ausstellung zu machen. „Die Zusammenarbeit klappt einwandfrei. Die Jugendlichen denken mit, arbeiten sehr sauber. Und sie zeigen sich gegenseitig, wie es geht“, so Haußmann.
Die Macher nehmen an, dass die Installation Ende April fertig ist und dann auf Tour gehen kann. Um die Führung, die anhand einer Beispielgeschichte eine Flucht erlebbar macht, hat sich die Theatergruppe gekümmert. Die wird dann auch in Kleingruppen durch die multimediale Ausstellung führen. Die Führung beginnt für die Schüler zuerst im Klassenzimmer. Weiter geht es in einen dunklen Raum des Schulhauses. Dann erst kommt die Führung am Container an. Das Ganze beschreibt die Reise aus der Heimat in ein fremdes Land, sie demonstriert die Ungewissheit und die Angst.
Lisa Langenbach vom Max-Born-Gymnasium ist begeistert vom Projekt. Sie besuchte das Stück „Pass. Worte. Wie Belal nach Deutschland kam“, welches das Theater Lokstoff, spezialisiert auf Theater im öffentlichen Raum, für Schüler in Backnang und in Weissach aufführte. Lisa wurde von ihrer Lehrerin auf „Roadshow“ aufmerksam gemacht. „Schon das erste Treffen hat echt Spaß gemacht. Und es ist interessant, die Geschichten zu hören.“ Deshalb blieb sie dabei, ist in der Theater- und Baugruppe. So vielseitig engagiert sind einige der Jugendlichen. Ein Teil der Einnahmen der Spendenaktion „BKZ-Leser helfen“ im vergangenen Jahr ging an „Roadshow“, das vom Stuttgarter Verein Kubus ins Leben gerufen wurde. Die beteiligten Jugendlichen kommen aus Deutschland, Afghanistan, Syrien, Gambia, Nigeria und der Elfenbeinküste.
