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Kultivierte Verrücktheiten

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Von Claudia Ackermann

AUENWALD. Sie betritt nicht die Bühne – sie springt mit einem Satz ins Rampenlicht. Sissi Perlinger ist eine Vollblut-Kabarettistin, die ihr Publikum vom ersten Moment an im Griff hat. Im Leopardenmuster-Outfit probt sie mit den Zuschauern Buh-Rufe und frenetischen Applaus. Letzterer wird im Laufe des Auftritts noch öfter in der Sängerhalle zu hören sein.

Es gehe in ihrem Programm auch manchmal unter die Gürtellinie, warnt sie die Besucher vor: „Wie prüde seid ihr denn in Oberbrüden?“

Perlinger plaudert über ältere Frauen, die sich früher gerne in Beige kleideten. Heute gäbe es eine neue Generation der Senioren. Mit Gitarre rockt sie los: „Hab keine Scheu, entdeck dich neu.“ Die Kabarettistin ist unglaublich vielseitig. Ihre Stimme bewältigt mühelos verschiedene Oktaven, mit dem Fuß betätigt sie die Percussion-Begleitung, und ihrem Stimmorgan entlockt sie Töne, die wie ein Saxofon klingen, wobei sie eine Mimik zum Totlachen aufsetzt. Verschiedene Dialekte hat sie auch parat. Hinter einer Trennwand schlüpft sie von einem schrillen Outfit ins andere.

Als alte Dame mit grauer Perücke und Hut steht sie auf der Bühne, die sich vorgenommen hat: „Ich turne bis in die Urne“. Aus der „Diktatur des depperden Schönheitswahns“ macht sie sich nichts: „Je verknitterter man am Morgen aufwacht, desto größer sind die Entfaltungsmöglichkeiten“, ist ihre Devise. Als Undercover-Journalistin in lässiger Kleidung legt sie einen Rapp ein und zieht über die hochgestylten Teenys mit coolem Gehabe in der Dorfdisco her. Skurril wird es, als sie sich im knallroten Kleid in die „Gebärmutter einer fruchtbaren Frau“ verwandelt, die sich über die Wechseljahre auslässt. Perlinger nimmt kein Blatt vor den Mund. Zwar geht es beim Thema Sex manchmal gewaltig unter die Gürtellinie, doch das nicht auf platte Weise.

An die Männerwelt appelliert sie: „Habt Vertrauen zu starken Frauen“ und holt sich den Besucher Karl aus der ersten Reihe auf die Bühne, um ihn zum starken Mann zu krönen, nicht wissend, dass es sich dabei um Auenwalds Bürgermeister Ostfalk handelt. Das Publikum brüllt vor Lachen, als Perlinger ihn im sexy Outfit umschmeichelt und auf seinem Schoß Platz nimmt. Der Schultes zeigt Humor und macht das Spielchen mit. Am Ende legt er mit ihr sogar noch einen kecken Hüftschwung aufs Parkett. So begeisterten Applaus gibt es bei politischen Reden wohl eher selten.

Schlag auf Schlag wechseln die Szenen. Sissi Perlinger ist ein Energiebündel. Ihr Körper wird auf urkomische Weise zum Percussion-Instrument, als sie bei einem Tanz a cappella vorführt, wie es im Alter in allen Gelenken knarrt, klappert, quietscht und kracht. Dass der Flamenco eigentlich aus der Jagd nach einer Fliege entstanden ist, bei der in der Luft danach geklatscht wird und die Füße auf den Boden trampeln, um das Insekt zu erwischen, erfährt das Publikum bei einem temperamentvollen, spanischen Tanz. Kurz darauf steht sie im orientalischen Gewand auf der Bühne, um zu demonstrieren, dass der traditionelle Bauchtanz eigentlich auf Verdauungsprobleme zurückzuführen ist.

„Je oller, je doller“, ist das Motto der 53-Jährigen. Im Alter solle man seine Verrücktheit kultivieren. Die Besucher fordert sie auf, dem Alter den Stinkefinger zu zeigen, und reckt mit ihnen die Hände in die Höhe, als sie am Ende als farbenfroher Schmetterling auf der Bühne steht. Was als kriechende Raupe entstand, entwickelt seine wahre, bunte Schönheit eben manchmal erst später, ist die Botschaft.

Der frenetische Applaus, der am Anfang auf Kommando geübt wurde, fällt am Schluss der Veranstaltung aus echter Begeisterung noch lauter aus.


            Schlägt in der Gruschtelkammer Auenwald schrille Töne an: Sissi Perlinger.Foto: E. Layher

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