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Ohne Schlips und Sachkenntnis geht nichts

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Von Uwe Flegel

„Augen auf bei der Berufswahl“, spottete mein Vater, als ich in jungen Jahren über die ersten Tage des Ferienjobs in einer Metallfabrik stöhnte. Frühmorgens war noch nie mein Ding. Daran hätte ich denken sollen, als unser Chef fragte: „Und was machen Sie bei unserer Serie Ferienjobs.“ Die spontane Antwort: „Ich gebe den Schultes in Spiegelberg“, findet mein Boss gut und ich sehr originell. Doch das ändert sich schnell. Nicht weil der Bürgermeister der Lautertalgemeinde etwas dagegen gehabt hätte. Uwe Bossert ist nicht humorbefreit: „Alles klar. Wann?“ Ich schlage vor: „Dienstag“ – und habe den Salat. „Passt“, sagt der Rathauschef und fügt an: „Um 7.30 Uhr am Rathaus. Um 8 Uhr haben wir einen Baustellentermin in Nassach.“ Nicht gerade das, was einen Redakteur begeistert, der zum Morgenmuffel neigt. So ein Kurzzeit-Gastspiel als Königle vom Lautertal ist härter als ein vorlauter Schreiberling ahnt.

Vor allem, wenn der Sommer Pause macht. Müde und angesichts der Nässe und Kühle im Schwäbischen Wald allerhöchstens mittelprächtig gelaunt treffe ich in meiner Halbtagsresidenz ein. Der herzliche Empfang dort lässt die Stimmung aber sofort steigen. Und die Frage der Rathausmitarbeiterinnen Gabriele Stricker und Karin Maier: „Wollen Sie Kaffee“, bringt den Pegel auf einen ersten Tageshöchststand. Der Höhenflug hält an. Wenige Minuten später trifft Bossert ein und stellt fest: „Die Krawatte fehlt.“ Was für die Kollegin und Eisprinzessin in der Eisdiele das Dienst-Schürzchen, ist für einen Rathauschef offenbar das Managerlätzchen. Wobei dieser Binder schon was ganz Besonderes ist: Grasgrün und ein Präsent „von meinen Mitarbeitern nach meiner Wiederwahl“, erklärt Bossert. Eben jene Mitarbeiter stehen daneben und strahlen. Das Betriebsklima stimmt. Das zeigt sich auch in der kurzen Vorstellungsrunde im Rathaus. Keiner schaut scheel. Alle finden die Idee klasse.

Nur der Regen passt nicht zur ständig besser werdenden Laune. Erst recht nicht auf Nassachs windigen Höhen. Auf der Fahrt dorthin hat Bossert erzählt: „Viel Zeit bleibt bei mir auf der Straße.“ 17 Kilometer gemeindeeigene Straßen unterhält das 2200 Einwohner große Dorf mit sieben Ortsteilen und mehreren Wohnplätzen. Beim Um- und Anbau des alten Schulhauses steht der erste von mehreren Terminen an diesem Tag an. „Das kostet rund 650000 Euro. Weil wir aber nicht nur das Schulhaus umbauen und renovieren, sondern die Chance nutzen, um für die Feuerwehr taugliche Räumlichkeiten und eine Garage für das Löschfahrzeug zu erstellen, konnten wir mehrere Töpfe anzapfen und haben einen höheren Zuschuss bekommen“, erklärt Bossert. Damit bleiben an der finanziell nicht auf Rosen gebetteten Gemeinde nur rund 40 Prozent der Kosten hängen. Trotzdem wird auf jeden Pfennig geachtet. Die dort beheimateten Vereine Dorfbühne Nassach und Liederkranz Nassach-Kurzach sowie die Feuerwehrangehörigen legen selbst richtig Hand mit an, der Bauhof ebenfalls. Sparfüchse und fleißig sind sie in Spiegelberg.

Der Himmel weint trotzdem. Vielleicht auch weil meine ersten Gehversuche als Verwaltungschef nicht so ganz gelingen. „Wo sollen die Lichter hin, Herr Bürgermeister“, fragt Bossert und winkt dem zögernden Zögling mit dem Zaunpfahl: „An den Bau oder frei stehend neben die Treppe?“ Ein Blick den Buckel hoch, die noch zu erstellende Treppe mir vorgestellt, gibt’s kurz und selbstbewusst die Antwort: „An den Bau.“ Falsch. „Wir machen’s frei“, beweisen Architekt Uli Ettle und die Vertreter der Baufirma sowie des Energieversorgers mehr Fachkenntnis. Die Begründung ist logisch: Oben stehen genau in der Flucht schon Mast und Lampe. Man hätte es sehen können.

Fachkenntnis in allen Lagen

und Belangen ist gefragt

Beim nächsten Thema beweise ich Lernfähigkeit. Wo stand die zweite Lampe. „Hier“, weiß Bossert. Dort, wo künftig die Feuerwehr aus der neuen Garage rausfährt. Kurven die Floriansjünger nach rechts, muss die Lampe ziemlich sicher nach jeder zweiten Fahrt ersetzt werden. „Unpraktisch.“ Zumal ein Strahler direkt über der Tür mehr Licht bringen würde. Alles nickt. Langsam läuft’s. „Hier muss irgendwo noch eine Lampe gestanden haben“, behauptet Syna-Mann Horst Trautwein. Die Schwierigkeit: Derzeit besteht jenes Irgendwo aus einem Haufen Dreck. „Da haben wir doch bestimmt vor den Bauarbeiten ein Foto gemacht“, vermutet zielsicher der Bürgermeister-Lehrling. Treffer. Mein Vorgänger, Momentan-Chauffeur und bald wieder Nachfolger weiß: „Frau Stricker hat Fotos.“ Damit ist der Ortstermin erledigt. Es geht zurück ins Rathaus. Der nächste Termin wartet.

Alle drei Jahre findet eine Wasserschau mit dem Geschäftsbereich Gesundheit des Landratsamts statt. Grund: Spiegelberg ist eine Gemeinde mit Eigenwasserversorgung. Wassermeister Horst Föll, das vierköpfige Team von der Kreisbehörde um Leiter Peter Müller, Bossert und ich sitzen da. Beredet wird die Trinkwasserverordnung. Ob bei den vier kleinen Tests und der einen großen Probe in den verschiedenen Wasserzonen alles okay war. Ob die Kommune der Bekanntmachungspflicht der Ergebnisse nachgekommen ist. Wie es mit dem Wasserkonzept aussieht. Gut, wurde Letzteres doch vor Kurzem vom Gemeinderat verabschiedet. 4,8 Millionen Euro will Spiegelberg bis zum Jahr 2033 in die Hand nehmen, um Dinge wie die fünf Hochbehälter, die fünf Pumpstationen, die Quellen und die vielen Leitungen zu erhalten und auf den neuesten Stand zu bringen. Bossert hofft, dass wie in solchen Fällen bisher üblich 80 Prozent der Kosten bezuschusst werden: „Auch weil wir eine recht hohe Wasser- und Abwassergebühr haben“, erklärt er und macht klar, dass das Dorf für das Ganze nicht nur viel Geld, sondern auch Zeit und Arbeit aufbringt: „Für jeden Bauabschnitt muss ein separater Fachförderungsantrag gestellt werden.“ Am Ende soll alles per Fernwirktechnik von einem zentralen Punkt aus gesteuert und überwacht werden können. Derzeit fährt Wassermeister Föll dreimal pro Woche die große Überwachungsrunde mit rund 50 Kilometern. In Spiegelberg lässt nicht nur der Bürgermeister viel Zeit auf der Straße.

Im bürgermeisterlichen Büro warten zwischenzeitlich Aktenstapel und ein PC mit Informationen, Fragen, Sorgen und Nöten der Einwohnerschaft. Das will und muss geklärt, angestoßen oder besprochen sein. So wie auch Kulturveranstaltungen. Seien es die Klosterhofkonzerte, eine Folk Night oder der Wunsch der Filmakademie Ludwigsburg, den Spiegelberger Wald als Filmkulisse nutzen zu wollen. In einer so kleinen Kommune landet fast alles auf dem Tisch des Rathauschefs. Der wird auch mal im Urlaub angerufen, um Dringendes kurz abzuklären.

Nicht nur Pflichten, sondern

auch erfreuliche Dinge

Erfreuliche Dinge erlebt ein Schultes aber ebenfalls. Als Standesbeamter, beim Überbringen von Grüßen an betagte Jubilare, bei goldenen, diamantenen und eisernen Hochzeiten. „Sogar eine Gnadenhochzeit gab’s vor Jahren“, erzählt Bossert und legt einen Text fürs Mitteilungsblatt hin. Den zu schreiben ist auch Aufgabe des Bürgermeisters, und kann in dem Fall vom Redakteur auf Abwegen problemlos erledigt werden. Zwischendurch taucht Bauhofleiter Michael Reuschle im Büro auf und klärt ab, wo und wie die zwei neuen mobilen Geschwindigkeitsanlagen am besten aufgestellt werden. Zudem gab’s eine Spende von der Dorfgemeinschaft Vorderbüchelberg, die in Sitzbänke für Spaziergänger und Wanderer investiert wird. Auch hier geht’s ums Wohin und Wie.

Mittlerweile ist Mittag. Die Mitarbeiter im Rathaus nutzen ihre Pause, um zu fragen, wie’s denn so war als Kurzzeit-Königle vom Lautertal. Nett, informativ und abwechslungsreich. Auch der Muffel ist längst Geschichte. Fast schade, dass die Dienstkrawatte wieder an den Eigentümer zurückgeht. Zumal das Schaffen im Spiegelberger Rathaus offenbar nicht nur einen halben Tag Spaß macht. „Bei uns im Haus herrscht eine Atmosphäre der offenen Türen und positive Grundstimmung“, geben mir die Bediensteten noch auf den Heimweg mit. Schön. Sie hatten die Augen auf bei Berufs- und Ortswahl.

  In unserer Serie „Ferienjob“ verlassen die BKZ-Redakteure ihren Arbeitsplatz und schnuppern in andere Berufe hinein. Es ist aber nicht nur das reine Zuschauen – nein – wenn es geht, wird richtig mitgeschafft.


            Gibt für ein paar Stunden Dienstsessel, Dienstkrawatte und Dienstschlüssel ab: Spiegelbergs Rathauschef Uwe Bossert (links).Fotos: A. Becher

            
              Besprechung: Das vierköpfige Team vom Landratsamt (rechts) fragt bei Uwe Bossert und Wassermeister Horst Föll nach, ob in Sachen Wasser alles läuft.

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