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„Wir können’s eh nicht verhindern“

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Von Florian Muhl

BACKNANG. „Raus mit den Autokorsos aus der Stadt!!!“ heißt es in einem anonymen Schreiben, das dieser Tage an den Oberbürgermeister und den Gemeinderat der Stadt Backnang gerichtet war und das auch unserer Redaktion zugespielt wurde. Der Unterzeichner, ein „Bündnis gegen Autokorsos“, stellt darin die rhetorischen Fragen: „Ist es gut, dass der Straßenverkehr behindert wird? – Ist es gut, dass sich diese Leute selbst und andere gefährden? – Ist es gut, dass ein paar Leute ganze Stadtteile vom Schlaf abhalten?“ Wie reagiert OB Frank Nopper? „Wir gehen grundsätzlich nicht auf anonyme Schreiben ein“, antwortet Backnangs Pressesprecher Hannes Östreich knapp und ebenso deutlich.

Für Ordnungsamtsleiterin Gisela Blumer sind Autokorsos kein Problem, wenn alles glattläuft. Denn sie würden meist mit großen Fußballereignissen wie Welt- oder Europameisterschaften einhergehen und seien somit von kurzer Dauer. „Solange hierbei keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet und die Straßenverkehrsordnung beachtet wird, steht die Stadtverwaltung derartig kurzfristigen Freudenausbrüchen gelassen gegenüber“, sagt Blumer. Autokorsos werden – soweit absehbar – immer durch die Stadtverwaltung begleitet, um zum Beispiel Absperrungen oder andere ordnende Maßnahmen ergreifen zu können. „Dies geschieht immer in ganz enger Absprache mit der Polizei“, so die Amtsleiterin.

Polizeisprecher Bernhard Kohn macht keinen Hehl daraus, dass er kein Freund dieser oft laut hupenden Autokolonnen ist. Er kann die genervten Anwohner verstehen, die vielleicht auch kleine Kinder haben, oder wegen Schichtarbeit schlafen müssen. Und er hofft, dass diese „Erscheinung“ in den kommenden Jahren vermindert auftritt. Das ist aber seine rein persönliche Ansicht und Hoffnung.

Als Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des Polizeipräsidiums Aalen, das auch für den Rems-Murr-Kreis zuständig ist, hat Kohn jedoch nicht die eigene Meinung im Blick, sondern gibt die Sicht der Polizei wieder. Und die heißt: Die Polizei toleriert Autokorsos. „Wir können’s eh nicht verhindern“, sagt Kohn. Denn einen Autokorso zu verbieten, lasse sich in der Praxis kaum verwirklichen.

Allerdings schauen die Ordnungshüter nicht blind weg, sondern sie sind wachsam. „Bei Gefahrenmomenten schreiten wir sofort ein“, rückt Kohn seine Aussage über die Toleranz zurecht. „Wenn wir Imponiergehabe beobachten, wenn beispielsweise Korso-Teilnehmer ihr Auto extra abbremsen, um vor sich eine Lücke entstehen zu lassen, um diese dann wenig später blitzartig schließen wollen, in dem sie mit aufheulendem Motor und quietschenden Reifen durchstarten, werden wir solche Spielchen sofort unterbinden.“

Was laut Kohn auch unzulässig ist, sind mitfahrende Personen, die sich aus dem Fenster hinauslehnen, aus dem Schiebdach herausschauen oder beim Cabrio hinten auf dem Auto sitzen. „Es gilt immer noch die Straßenverkehrsordnung und damit die Anschnallpflicht.“ Gefährlich seien auch Fahnen, die an langen Stangen aus dem Auto heraus geschwenkt werden. Die sieht die Polizei überhaupt nicht gerne, weil sie Personen am Straßenrand gefährden könnten. „Wir erwarten, dass man sich wenigstens an die Verkehrsregeln hält.“ Will auch heißen: Wenn die Ampel rot zeigt, dann muss man im Korso eben warten.

Die meisten Teilnehmer eines Autokorsos verhalten sich friedlich, wollen ihre Freude einfach nur zum Ausdruck bringen und beachten meist die Verkehrsregeln, so die Erfahrungen der Polizei. Es seien stets nur wenige Autofahrer, die durch ihr Verhalten auffallen und dann natürlich negativ wahrgenommen werden. Betrachtet man alle Autokorso-Teilnehmer als Ganzes, „erhält man ein klassisches Abbild unserer Gesellschaft“, sagt der Polizeisprecher. Es gebe die überwiegend Guten und leider auch ein paar schwarze Schafe.

Aus Erfahrung kennt die Polizei die jeweils ortsüblichen Straßen, auf denen sich die Fans zum Hin- und Herfahren treffen. Und es mag paradox klingen: Auf einem Rundkurs, auf dem sich maximal 500 Autofahrer bewegen können, ist’s der Polizei am liebsten, wenn dort nicht 30 Fans unterwegs sind, sondern 500. „Denn dann ist der Rundkurs voll“, sagt Kohn, da ist dann kein Platz mehr zum Rasen, sondern die Autofahrer sind gezwungen, im Schritttempo zu fahren.“


            Jubel nach Spielende: Fans feiern während der WM 2014 friedlich den Sieg und bewegen sich langsam fahrend im Autokorso. Foto: A. Becher

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