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Sprachrohr für die Belange behinderter Menschen

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Von Uwe Roth

WAIBLINGEN. Es hat sich schnell herumgesprochen, dass es einen Ansprechpartner für Menschen mit Behinderung und deren Angehörige gibt. Roland Noller ist vom Landratsamt noch nicht offiziell vorgestellt worden, da kommen bereits Anfragen und Einladungen. Eine der ersten kommt von Thilo Gaiser. Der 36-Jährige ist ein sehr aktives Mitglied des Vereins Selbstbestimmungsinitiative (S.B.I.) Rems-Murr. S.B.I. ist von Menschen mit Lernschwierigkeiten/geistiger Behinderung im Umfeld der Diakonie Stetten gegründet worden.

Der Besuch des Vereins in Stetten ist für Roland Noller sozusagen sein erster öffentlicher Auftritt im neuen Amt. Und die Veranstaltung ist genau das, was er sich unter Inklusion vorstellt: Menschen mit einer Behinderung selbstständig werden lassen, ihnen Verantwortung überlassen. Keine Bevormundung.

Die Mitglieder von S.B.I. organisieren ihr Vereinsleben selbst trotz der Einschränkungen, die man als Mensch mit einer Behinderung so hat. Weder Betreuer der Diakonie noch Familienangehörige helfen bei den Vorbereitungen der regelmäßigen Treffen. Und Thilo Gaiser führt die Sitzungen und Diskussionsrunden, auch wenn ihm das Sprechen manchmal schwerfällt. Erst vor wenigen Wochen war Landrat Richard Sigel da.

Der neue Behindertenbeauftragte ist begeistert von der Offenheit, mit der diese Menschen auch mit ihrer Behinderung umgehen, aber auch vom Interesse an politischen Fragen. Schnell fällt das Stichwort Bundesteilhabegesetz. Es soll Behinderten mehr Freiheiten und Rechte geben. Die neuen Vorschriften sind so kompliziert wie der Gesetzesname selbst. 369 Seiten umfasst der Entwurf – natürlich in schwerer Sprache.

„Ich bin einfach begeistert“, sagt Roland Noller über die Veranstaltung. Er hat gemerkt, dass man diesen Menschen mehr zutrauen kann, als man gemeinhin vermutet. In seinem langen Berufsleben hatte er es bislang mit Menschen mit einer Hörbehinderung und psychisch Kranken zu tun. Beides deutet auf Winnenden hin. Die Paulinenpflege, das Zentrum für Psychiatrie und der Hilfsverein für psychisch Kranke Rems-Murr waren seine bisherigen Stationen.

Aber von vorne: Roland Noller ist in Sulzbach an der Murr geboren. 1978 machte er sein erstes Praktikum in der Paulinenpflege. „Ich wusste, dass es mir Spaß machen wird. Und das war dann auch so“, erinnert er sich.

Damit war sein Berufsweg vorgezeichnet: Er studierte Sozialarbeit an der Berufsakademie Stuttgart (heute: Duale Hochschule). Die Semesterferien verbrachte er in der Paulinenpflege. 1982 war das Studium zu Ende. Bis 1991 blieb er in der Einrichtung für hör- und sprachbehinderte Menschen, leitete Wohngruppen und fand sein Leitmotiv: Menschen dazu zu bringen, selbstständig leben zu können.

Roland Noller wechselte in den Sozialdienst des Zentrums für Psychiatrie gleich in der Nachbarschaft der Paulinenpflege. Seine Aufgabe bestand darin, psychisch erkrankte Menschen bei ihrer Rückkehr in den Alltag zu begleiten. 1998 kam er mit ähnlichem Auftrag zum Hilfsverein für psychisch Kranke, dessen Leitung für ambulant betreutes Wohnen er übernahm. Es war für ihn kein reiner Schreibtischjob. „Ich war nicht nur Leiter, sondern hatte auch immer Klienten.“

Was er an seinem Beruf liebt? „Ich begegne gerne Menschen und sehe den Menschen und nicht seine Einschränkungen.“ Die Voraussetzung dafür sei ganz sicher, ein geduldiger Mensch zu sein. „Mich bringt nichts so schnell aus der Ruhe, auch wenn es beim Zuhören länger dauert“, sagt er.

Seine Geduld ist manchmal auch zum Nachteil seiner Frau. „Es kommt schon vor, dass ich eine Stunde später nach Hause komme als angekündigt.“ Dass sich der Einsatz lohnt, scheint er seiner Familie gut vermittelt zu haben. Einer der beiden Söhne studiert Sonderpädagogik und „hat eine Riesenfreude daran“.

Der Besuch bei S.B.I. mit Menschen mit Lernschwierigkeiten ist für ihn durchaus eine neue Begegnung. Er lernt, was für diesen Personenkreis Barrierefreiheit bedeutet. Es ist vor allem die einfache Sprache und Zeit, die ihre Gesprächspartner aufbringen müssen, bis sie ihre Gedanken aussprechen können. „Ich möchte Sprachrohr für die Belange der Menschen mit Behinderung sein“, hat Noller sich vorgenommen. Er weiß, dass das nicht immer einfach sein wird. Barrierefreiheit herzustellen bedeutet, Geld in die Hand zu nehmen.

Laut seinem Arbeitsauftrag ist er weisungsunabhängig. Er berät die Einrichtungen der Behindertenhilfe und alle zum Landkreis gehörenden Stadt- und Gemeindeverwaltungen sowie die Kommunalpolitik mit dem Ziel, Barrieren für Menschen mit Behinderungen abzubauen. Und er wird von den Kommunalpolitikern oft genug zu hören bekommen, dass das alles viel zu teuer ist und auch Behinderte damit zu leben haben, dass es Abstriche vom Optimalen geben muss.

Aufgaben wird sich Roland Noller nicht suchen müssen: Die interkommunale Gartenschau 2019 barrierefrei hinzubekommen, wird eine große Herausforderung werden. Die andere ist, das neue Bundesteilhabegesetz im Rems-Murr-Kreis umzusetzen. Es soll die Rechte der Menschen mit Behinderung stärken, ihnen mehr Wahlfreiheiten bieten und die Barrierefreiheit in öffentlichen Einrichtungen zur Vorschrift machen.

Sein Markenzeichen Geduld wird der Behindertenbeauftragte nicht nur für die behinderten Menschen aufbringen müssen, sondern auch für die Gespräche mit den Kommunalpolitikern. Und da dürfte es gerne mal wieder eine Stunde länger dauern.


            Geduld und Erfahrung sind bei seinem neuen Aufgabengebiet gefragt: Über beides verfügt Roland Noller.Foto: B. Büttner

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