Von Kornelius Fritz
SCHWAIKHEIM. Ende März haben in Fellbach 84 Bewohner die erste Flüchtlingsunterkunft von Kärcher Futuretech bezogen. Insgesamt sind zwölf Standorte im gesamten Rems-Murr-Kreis geplant, unter anderem in der Backnanger Theodor-Körner-Straße und in der Industriestraße in Allmersbach im Tal. Jeweils drei Bewohner teilen sich in den Containerunterkünften ein 12 Quadratmeter großes „Zimmer“. Außerdem gibt es Gemeinschaftsräume, Duschen und eine Waschküche. Die Einrichtung ist spartanisch, aber besser, als in einer Sporthalle zu nächtigen, ist es allemal.
Dass Kärcher Flüchtlingsunterkünfte baut, überrascht zunächst einmal. Doch ein neues Geschäftsfeld sei das keineswegs, erklärt Thomas Popp, Geschäftsführer von Kärcher Futuretech: „Wir bieten solche modularen Wohnsysteme schon seit zwei Jahrzehnten an“, sagt der Chef des Tochterunternehmens mit Sitz in Schwaikheim. Dass das selbst im Rems-Murr-Kreis viele nicht wissen, liegt daran, dass die Containerdörfer bis jetzt meistens im Ausland standen, etwa im Kosovo oder in Afghanistan. Dort wohnten keine Flüchtlinge, sondern Soldaten in den Systembauten, denn einer der wichtigsten Kunden von Kärcher Futuretech ist die Bundeswehr. Aber auch ausländische Armeen, etwa aus der Schweiz und sogar aus Neuseeland, setzen auf den Lieferanten aus dem Rems-Murr-Kreis. Was das alles mit Hochdruckreinigern zu tun hat? Mehr als man denkt. Doch um den Zusammenhang zu verstehen, muss man in der Firmenhistorie ein paar Jahrzehnte zurückgehen. „Gründer Alfred Kärcher war Spezialist für Heiztechnik“, erklärt Thomas Popp. In den 1930er-Jahren hat Kärcher unter anderem Schmelzöfen für Stahl und Kabinenheizungen für Flugzeuge hergestellt. Diese Kompetenz war später auch Grundlage für den Erfolg der Reinigungsgeräte: Denn die säuberten früher vor allem mit Dampf, also mit heißem Wasser. Die Bundeswehr brauchte die Heizexperten aus einem anderen Grund: „Sie hat in den 80er-Jahren einen neuen Lieferanten für Feldküchen gesucht“, erzählt der Geschäftsführer.
So entwickelten sich aus einer gemeinsamen Keimzelle zwei sehr unterschiedliche Geschäftszweige. Erfolgreich sind beide, wenngleich die Hochdruckreiniger als Massenprodukt inzwischen das Unternehmen dominieren. Zum Vergleich: Der Mutterkonzern hat heute rund 12000 Mitarbeiter, Kärcher Futuretech 125. Trotzdem besitzt auch das seit 2005 rechtlich selbstständige Tochterunternehmen in seiner Nische einen guten Ruf und hat sein Produktangebot im Lauf der Jahrzehnte erweitert. Nach dem Start mit der „Gulasch-Kanone“ bot Kärcher bald immer mehr Ausrüstung für den Einsatz in Kriegs- und Katastrophengebieten an, etwa Wasseraufbereitungsanlagen oder Dekontaminierungsgeräte. Und weil die Kunden lieber einen als viele Lieferanten haben wollten, kamen schließlich auch Wohn- und Sanitärcontainer hinzu, die das Unternehmen in Italien fertigen lässt. „Heute bieten wir alles an, was ein Soldat oder Zivilschützer braucht, um im Feld zu leben“, erklärt Thomas Popp.
Von dieser Erfahrung profitiert der Landkreis nun bei der Unterbringung seiner Flüchtlinge. Die Systembauten aus Schwaikheim bestehen aus einzelnen Modulen in der Größe eines Überseecontainers, die sich zusammenfalten und platzsparend transportieren lassen. Vor Ort werden sie dann je nach Bedarf zu unterschiedlich großen Räumen zusammengesetzt. „Das ist wie bei Lego“, erklärt Popp. Der große Vorteil: Die Unterkünfte können schnell aufgebaut werden und bieten trotzdem mehr Komfort als ein Zelt oder eine Sporthalle. So gibt es in allen Räumen Steckdosen und Doppelfenster aus Kunststoff. Die Außenwände sind gedämmt, und ein Satteldach aus rot lackiertem Blech sorgt dafür, dass sich die Container im Sommer nicht zu stark aufheizen. Um ein solches Containerdorf zu errichten, brauche man lediglich einen geschotterten Platz mit Strom- und Wasseranschluss, erklärt der Geschäftsführer: „Zehn Wochen später können bereits die ersten Flüchtlinge einziehen.“ Sollten die Unterkünfte irgendwann nicht mehr gebraucht werden, sind sie ebenso schnell auch wieder abgebaut.
Der Landkreis bekommt die Unterkünfte schlüsselfertig geliefert: „Wir kümmern uns um alles, von der Baugenehmigung über das Brandschutzgutachten bis zur Möblierung“, erklärt Thomas Popp. Landrat Richard Sigel ist froh, dass dank der Systembauten aus Schwaikheim nun die als Notunterkünfte genutzten Sporthallen nach und nach geräumt werden können. Und er freut sich noch mehr, weil das Geld, das er dafür ausgeben muss, im Landkreis bleibt: „Es ist damit auch ein Beitrag zur Wirtschaftsförderung.“ Mittlerweile zeigen Landkreise und Kommunen aus ganz Deutschland Interesse an den Systembauten. Bei Kärcher Futuretech ist man auf alles vorbereitet und könne auch größere Aufträge kurzfristig erfüllen, verspricht Thomas Popp: „Wir sind es gewohnt, flexibel zu reagieren.“