Von Simone Schneider-Seebeck
BACKNANG. Ein älterer Herr mit grau meliertem Bart, Sonnenbrille und Hut, Stock und Handtasche geht lächelnd auf seinen Stuhl auf der kleinen Bühne zu. Das Publikum in der erst kürzlich erweiterten Werkstatt auf dem Backnanger Hofgut Hagenbach johlt und klatscht. Der Herr setzt sich.
Auch seine Begleiter nehmen ihre Plätze ein, an Bass, Gitarre und Schlagzeug. Die Instrumente erklingen, „Go down Moses“ startet langsam und bedächtig. Die kratzenden Geräusche des Schlagzeugs machen Gänsehaut und erfüllen den Raum mit Spannung. Der Herr beginnt zu singen: Eine wundervoll tiefe, leicht rauchige Stimme, im gedehnten Südstaatenakzent, ganz langsam, und die Zuhörer sind hellauf begeistert. Nur ein paar Takte, und schon hat Big Daddy Wilson den Raum voll im Griff, alle klatschen hingebungsvoll im Takt.
Mittlerweile hat Big Daddy, der eigentlich Wilson Blount heißt und sein Alter nicht verraten will, sein elftes Album „Time“ herausgebracht. Als Kind hätte er sich das bestimmt nicht träumen lassen, da kannte er nur Kirchenmusik.
Der junge Wilson kam als Soldat nach Deutschland, wo er nicht nur sein Herz an eine Frau verlor, sondern auch den Blues kennenlernte. Da wusste er – das war sein Ding. Und nun begeistert er mit seinen Musikern Roberto Morbioli an der Gitarre, Paolo Legramandi am Bass und Nik Taccori am Schlagzeug die Backnanger Musikszene. Seine Begleiter übernehmen auch den Backgroundgesang, was sehr reizvoll ist, ist man da doch eher an weibliche Stimmen gewohnt. Besonders Morbioli erweist sich da als ausgesprochen vielseitig, bei einem Stück bringt er sich sogar mit Scatgesang ein. Die Songs haben alle etwas Ursprüngliches. Der Rhythmus ist fast hypnotisch, die Instrumente geben den Takt vor, sie bilden den Hinter- und Untergrund für diese wunderbare Stimme, die mal leise und sanft, mal laut und kraftvoll ist. Dazu der gedehnte näselnde Südstaaten-Slang. Man fühlt sich bei dieser Musik und der intimen, urigen Atmosphäre der Werkstatt nach New Orleans oder Memphis versetzt, in eine verrauchte Bar der Fünfzigerjahre. Big Daddy und seine Kollegen bringen einen Querschnitt seiner eigenen Songs. Langsame Stücke, gefühlvoll und doch voll Energie. Dann wieder etwas Schnelleres, mit treibendem Rhythmus, dazu diese samtige Stimme, stellenweise aber auch rauh und rotzig. Das Publikum ist begeistert. Aus dem aktuellen Album spielt der Mann aus North Carolina den Titelsong „Time“. Raffiniert beginnt es leise mit Bassklängen, die fast wie Herzklopfen klingen. Wilson stimmt selbst mit seiner Gitarre ein, dann folgen die anderen Musiker. Das Stück ähnelt dem Schlagen einer Uhr, dazu der eindringliche Text: „Time... You can’t turn back time.“ Blues ist zeitlos. Und er hat was mit dem wahren Leben zu tun, wie Wilson meint, denn wer den Blues singt, sagt die Wahrheit. Daher gibt es zu jedem Lied auch eine kleine Geschichte, und er erzählt seinem Publikum gern die eine oder andere Anekdote. Etwa zum Song „Texas Boogie“. Er habe eine kleine Bar in Texas betreten und dort diese unglaubliche Frau gesehen, die sein Leben verändert hat. Sie habe bestimmt 350 Pfund auf die Waage gebracht, aber sie habe so wundervoll getanzt und die ganze Tanzfläche beherrscht, dass er sie einfach in diesem Lied verewigen musste. Wilson intoniert „Boogie, big mama, shake it, big mama“ und das Publikum macht begeistert mit, alles klatscht, schnippt und singt.
Seiner deutschen Frau hat er
ein Liebeslied gewidmet
Big Daddy ist ein spontaner Typ, er variiert die Songauswahl, seine Band passt sich dem problemlos an. Besonders mit Morbioli harmoniert er, Gesang und Gitarre bauen aufeinander auf und ergänzen sich. Selbstverständlich darf das Liebeslied, das er seiner deutschen Frau gewidmet hat, nicht fehlen, „Anna Mae“. Eine eingängige Melodie, aus der seine Liebe zu ihr spricht. Dann wieder ein lauteres, kraftvolles Stück, „Bullfrog“, mit rockigen Elementen, bei dem er seine Kopfstimme hören lässt.
Ruhiger und mit Folkmusikeinschüben das nachdenkliche „Who’s dat knockin‘ on my door“ über einen, der vor all den schlechten Nachrichten Angst hat. „My day will come“ über einen „North Carolina country boy“ ist eine Mischung aus Rhythm and Blues und Gospel, dabei erhebt sich der Sänger und schwingt selbst die Hüften, bis die Musik immer langsamer wird und das Tempo zurücknimmt.
Fast klingt es wie eine Dampflok, die sich entfernt und den Jungen vom Lande mit sich nimmt. Zum Abschluss gibt es einen schönen old-fashioned Blues, dabei bekommen auch Morbioli, Legramandi und Taccori die Gelegenheit, ihr Sangestalent zu zeigen, mit Ausschnitten von „Mustang Sally“, „Stand by me“ und „My girl“. Wilson endet mit „Sittin’ on the dock of the bay.“
Diese Jamsession hätte noch die ganze Nacht so weitergehen können. Eine Zugabe gibt es noch, „Baby don’t like it“, doch dann ist nach drei Stunden wirklich Schluss. Der Verein Kulturgut hat wieder einmal ein gutes Händchen bei der Auswahl seiner Konzerte bewiesen.