Von Christine Schick
MURRHARDT. Ebenfalls noch nicht allzu lange, einige Monate ist es her, dass Trude Schüle bei frischen Temperaturen auf dem Marktplatz vor ihrer Staffelei saß, um unter freiem Himmel zu malen. So kannten sie die Murrhardter: Praktisch immer bei der Arbeit, aber wenn sie den Pinsel dann weglegte, zugewandt und stets bereit zu einem humorvollen, lebendigen Austausch. Bei den Abenden, die sie im Rahmen ihrer Kunstausstellungen anbot und an denen sie von ihren zahlreichen Weltreisen berichtete, verknüpfte sie beides, sprühte vor Erzähleifer und lief zur Hochform auf. Malen und Reisen, Arbeiten und Eintauchen in ihre unmittelbare Umgebung – ob mit Mitteln der Kunst oder einfach im Gespräch – waren bei Trude Schüle aufs Engste verbunden.
Ihr Lebensweg begann im elterlichen Haus in der Murrhardter Karlstraße, wo sie am 13. Dezember 1929 geboren wurde. Ihr Vater, der Architekt Albert Schüle, legte die Grundsteine für ihre spätere Leidenschaft. Als Mädchen saß sie schon früh mit Papier und Stift unter seinem Arbeitstisch, malte und zeichnete und bekam sanft wichtige Anregungen von ihm. Sie erlebte das Kriegsende und die Hamsterzeit – Touren mit dem Leiterwagen zu Bauernhöfen auf langen Wegen über Teilorte zurück nach Murrhardt.
Die junge Trude Schüle war eine begeisterte Klavierspielerin und fing an, sich für Architektur zu interessieren. Dass der Vater ihr von einer Ausbildung abriet, weil Frauen damals im Beruf einen schweren Stand hatten, bereute sie später nicht. Bevor sie ihre Leidenschaft, die Aquarellmalerei und das Zeichnen, entdeckte, führte sie ihr beruflicher Weg auf die Frauenfachschule für Bekleidungstechnik in Stuttgart, dann auf die Textilfachschule Hohenstein, wo sie zur Direktrice ausgebildet wurde. Sie arbeitete in Passau bei einem Herrenwäschehersteller und in einem Warenhaus in Frankfurt.
Später kehrte sie nach Murrhardt zurück, um ihre Eltern und die Familie zu unterstützen, arbeitete im Büro des Vaters und schmiss den Haushalt. Sein plötzlicher Tod war ein drastischer Einschnitt, gleichzeitig ihre Chance für einen Neuanfang. Trude Schüle ging auf Weltreise – auf einem polnischen Frachter machte sie sich als einziger Passagier mit der Mannschaft nach Japan auf – und begann mit dem Malen und Zeichnen. Das war in den 1970er-Jahren.
Von da ab verfolgte sie ihren Weg konsequent und zielstrebig weiter. Schüle besuchte den Unterricht unter anderem bei den Professoren Hugo Peters, Claus Pack und Heribert Mader. Im Zentrum ihres Schaffens stand das Aquarell, bei dem sie die fließenden, offenen Ausdrucksformen immer mehr für sich weiterentwickelte. In aller Herren Länder – beispielsweise Singapur, Hongkong, Israel, Marokko, Ägypten, Tunesien, Kreta, Spanien, Portugal oder Italien – genauso wie in Murrhardt, Backnang und dem Stuttgarter Raum fand sie ihre Motive. Sie reiste und malte, so viel sie konnte. Über die Jahrzehnte entstand ein umfangreiches Werk – vor allem mit Aquarellen, aber auch mit zahlreichen Skizzen und Zeichnungen inklusive ihrer Spätentdeckung der Kalligrafie(-Kunst), bei der sie Buchstaben mit Bildelementen und Zeichnung kombinierte. Die Palette der Motive reicht von charakteristischen Gebäuden und Ansichten in ihrer Heimatstadt über Stadtbilder von Backnang, Hamburg oder vom Bodensee über Landschaften und Szenen aus Italien, Portugal, Tunesien oder Ägypten bis hin zu zarten Aktbildern, die in zahlreichen Ausstellungen präsentiert wurden. Früh hat sich Trude Schüle darum gekümmert, ihr Werk zu ordnen und zu dokumentieren. So entstand die Trude-Schüle-Stiftung, mithilfe der sie außerdem junge Murrhardter Talente über Malwettbewerbe in Schulen förderte. 2013 fand die erste Trude-Schüle-Preisverleihung statt, bei der Schüler ausgezeichnet wurden und die Einrichtungen eine finanzielle Unterstützung für den Kunstunterricht erhielten. Ebenfalls vor drei Jahren konnte so gut wie jeder in den Genuss eines kleinen Kunstwerks von Trude Schüle kommen. Eines ihrer Bilder mit Stadtkirche, Alter Abtei und Amtshaus zierte die Briefmarke, die zum Stadt- und Klosterjubiläum erschien.
Mitte Oktober 2014 ehrte die Stadt Trude Schüle zu ihrem 85. Geburtstag: Bei einer Sonderausstellung wurde die Künstlerin gefeiert und für ihr Lebenswerk mit der Bürgermedaille der Stadt ausgezeichnet, deren Gebäude und Szenen sie in ihren Bildern festhielt und damit auch den Wandel Murrhardts begleitete. Wer die Vernissage erlebte, dem wurde gewahr, welch große Anerkennung Trude Schüle genoss – lange Schlangen bildeten sich vor der städtischen Kunstsammlung, und die Künstlerin ließ es sich nicht nehmen, jeden Gast persönlich zu begrüßen.
Sie wird fehlen, ihre Bilder werden bleiben – und mit ihnen die Lebendigkeit, Lebenslust und Weltoffenheit, die sie verkörperte.