Von Renate Häussermann
ASPACH. „Wir sind zusammengekommen, um einen Kreuzweg miteinander zu gehen.“ So die Begrüßung von Pfarrer Frank Schöpe in der katholischen Kirche Großaspach. Das Miteinander hat an diesem Karfreitag eine besondere Bedeutung. Inmitten der Akteure, die den ökumenischen Kinderkreuzweg zelebrieren, befindet sich Issa Georges. Ein syrischer Flüchtling, der den Bettler Immanuel spielt. Ein Bettler, auf den die Menschen hinabschauen, der nicht willkommen ist.
Issa, 24 Jahre alt, kam am 12. September 2015 nach einer Odyssee über den Libanon, die Türkei, Griechenland, Ungarn und Österreich in Karlsruhe an. Nein, er hatte nicht Deutschland als Ziel im Blick. Er wollte einfach nur weg aus Damaskus, wo er Touristik studierte und sich das Studium mit einem Network-Marketing-Job finanzierte. Täglich schlugen Bomben ein. „Meine Mutter hat mich tausend Mal am Tag angerufen und gefragt, ob ich noch lebe.“
Nach Europa ist er geflüchtet, „um Frieden zu finden“. Issa hat noch vier Schwestern und zwei Brüder; er ist der Jüngste. Einer der Brüder lebt seit fünf Jahren in den USA. Hört er die Erzählungen seines Bruders, ist er froh, in Deutschland zu sein.
Seit Oktober lebt der junge Syrer in Aspach. Die Gegend erinnert ihn an sein Heimatdorf in der Nähe von Homs. „Da gibt es auch viele Apfelbäume.“ Zunächst war er in der Turnhalle bei der Conrad-Weiser-Schule untergebracht, zusammen mit 33 syrischen Landsleuten. „Am Anfang war es sehr hart, aber dann wurden wir zu einer Familie.“ Seit einigen Wochen lebt Issa in den Containern in der Marbacher Straße. Er teilt sich das Zimmer mit zwei weiteren Syrern.
Dass er beim Kinderkreuzweg die Rolle des Bettlers angeboten bekam, empfindet er nicht als Schande. Hannah Nothstein hat die Dialoge für den Kinderkreuzweg geschrieben. Die junge Studentin ist Sprecherin der Initiative Awia („Asylbewerber willkommen in Aspach“) und kennt Issa, seit er in Aspach angekommen ist. Issa ist ein sehr freundlicher und aufgeschlossener junger Mann. Und wenn er sagt: „Überall, wo ich hinkomme, habe ich viele Freunde“ mag man es ihm sofort glauben.
In Deutschland, in Aspach, hat Issa Ruhe und Frieden gefunden. Er kann ruhig schlafen. Und doch ist er ein Fremder. Nein, als Bettler fühlt er sich nicht, sagt er. Eher als Gast. Er möchte sich integrieren, möchte studieren und arbeiten.
Nach fünf Monaten spricht
er fast fließend Deutsch
Nach Aspach kam er mit besten Englischkenntnissen. Nun spricht er fast fließend Deutsch. Täglich geht er fünf Stunden in den Deutschkurs in Backnang. Dass er nun von links nach rechts schreiben muss und nicht mehr, wie im Arabischen, von rechts nach links, macht ihm keine Probleme mehr.
Seine langen Texte beim Kinderkreuzweg, liest Issa ab. Dreimal hat er geübt. „Zu wenig“, gibt er verschmitzt zu, „aber es ging ja gut.“ Ja, es ging gut. So gut, dass Pfarrerin Irmgard Kaschler bewundernd feststellt: „Und er ist erst seit fünf Monaten in Deutschland, alle Achtung.“ Da ist Issa dann großer Beifall des Publikums sicher.
Dem 24-Jährigen ist die Leidensgeschichte Jesu nicht fremd. Er entstammt einer griechisch-orthodoxen Familie. Probleme wegen seines Glaubens hatte er in seinem Heimatland nicht. Im Gegenteil: „Alle meine Freunde sind Moslems.“ Und in der eigenen Familie gehe man sehr offen und tolerant mit dem Glauben um. Seine Schwägerin ist katholisch. Sein Bruder sei ein Glückspilz, betont Issa. „Er darf zwei Mal Ostern feiern.“
Gestern erreichte die Familie Georges in Syrien der Anruf ihres glücklichen Sohnes und Bruders aus Deutschland. Die Familie erfuhr, dass Issa seine Sache beim Kinderkreuzweg gut gemacht hat. „Sie sind alle sehr stolz“, strahlt Issa.
Ob Issa in Deutschland bleibt, weiß er noch nicht. Er könnte sich auch Österreich oder die Niederlande vorstellen. „Ich fühle mich nirgendwo fremd“, sagt er. Und besser als vielleicht irgendjemand anders im Saal kann er den Satz von Pfarrerin Kaschler unterstreichen: „Es geht immer weiter, egal, wie schlimm der Weg auch sein mag.“