Von Carmen Warstat
BACKNANG. Seit Jahren unterstützt die Erlacher Höhe Menschen in prekären Lebensverhältnissen: Sie hilft älteren Bürgern und Frauen, die an der Armutsgrenze leben, Suchtkranken, Obdachlosen und anderen Bedürftigen. Die Einnahmen aus dem jüngsten Konzert der Bläserphilharmonie Rems-Murr kommen dem EH-Mobil zugute. Es handelt sich hierbei um eine mobile Tagesstätte, die in kirchlichen Einrichtungen des Rems-Murr-Kreises die Begegnung mit professionellen Helfern ermöglicht.
Abteilungsleiter Toni Heiser erläuterte dem Konzertpublikum, dass das Mobil mit einem warmen Mittagessen, beispielsweise dienstags, in das Gemeindehaus am Kalten Wasser, kommt und dieses nicht nur an arme Menschen ausgibt. So soll eine „Durchmischung und Entstigmatisierung“ erzielt werden. Bis zu 220 Personen werden jeweils beköstigt, 2015 waren es insgesamt über 10000 Essen. Weiterführende medizinische und andere Hilfen und Freizeitangebote runden die Sache ab.
Das Orchester unter der Leitung von Wilhelm Müller eröffnete sein Konzert mit Hector Berlioz’ Ungarischem Marsch, einem Teil der dramatischen Legende über „Fausts Verdammnis“ von 1846. Berlioz ließ Goethes Helden in die Ebenen Ungarns reisen und dort für sein hehres Ideal kämpfen. „Rienzi“ begründete Richard Wagners Erfolg als Opernkomponist. Heute wird das Werk kaum noch vollständig gespielt, die Ouvertüre jedoch, die zu Gehör kam, ist nach wie vor populär.
Camille Saint-Saëns sah sich als französischen Gegenpart zu Wagner, den er bis zu seinem Tod erbittert bekämpfte. Er schrieb Musik aller Gattungen, konnte aber mit dem Operngenre nur bescheidene Erfolge verzeichnen. Sein Debüt als Opernkomponist hatte Saint-Saëns 1872 mit „La Princesse Jaune“, deren Ouvertüre im Bürgerhaus erklang. Die leicht und zugleich etwas hart wirkende Tonalität erzeugte eine asiatische Anmutung, die durch Triangel-Akzente noch unterstrichen wurde. Um das Sujet von Treue, Verrat und Rache geht es in Shakespeares Stück „Macbeth“, das Giuseppe Verdi 1846/47 zu seiner gleichnamigen Oper verarbeitete. Auch diesem Werk war seinerzeit relativ wenig Breitenwirkung beschieden, was am Fehlen einer Liebesgeschichte und der düsteren Grundstimmung gelegen haben mag.
Die Bläserphilharmonie spielte die drei Teile des schon damals sehr beliebten Hexenballetts „Ballabili“. Die Musiker beeindruckten durch ihr virtuoses Gleiten zwischen Allegro und dem besinnlicheren Andante und waren hier besonders schön beieinander. Das Walzermotiv im dritten Teil versteckte sich zuweilen hinter durchdringendem Blech, war aber auf faszinierende Weise immer präsent. Moderne Stücke präsentierte die Bläserphilharmonie nach der Pause, darunter die „Tivoli Festival Overture“ von Sören Hyldgaard, die das Treiben in dem berühmten Kopenhagener Vergnügungspark hörbar zu machen schien. Der Komponist erwies dem ersten Musikdirektor des Tivoli, Hans Christian Lumbye, dem sogenannten Strauß des Nordens, hiermit seine beeindruckende Referenz.
Glockenspiel des Kopenhagener
Rathauses als musikalisches Motiv
Die ersten Takte des Stückes evozieren das Glockenspiel des Rathauses von Kopenhagen, das die Tivoli-Besucher jede Stunde hören können.
Unter der Leitung von Volkmar Schwozer spielte das Klarinettenensemble mit Richard Byrds „Jubilation“ einen besonders niveauvollen Konzertbeitrag. Hier wurden Echo-Effekte herbeigezaubert und der Jubel, als etwas nicht in jedem Moment Unernstes, souverän gefeiert: Gegenläufige Bassstimmen etwa gaben dem Thema Gewicht und Tiefe. Und schließlich eine Reise über die Alpen unter dem Titel „Via Claudia“. Das Werk des Niederländers Johan de Meij nahm das Publikum mit auf eine alte Römerstraße, die Via Claudia Augusta. Der Weg, wie zu hören war, nicht eben unbeschwerlich, beginnt an einem nebligen Abend in der Nähe von Venedig und führt nach Augsburg. Das Orchester ließ Alpenlandschaften unter anderem mittels Kuhglocken und mächtigem Alphorn in all ihrer Pracht lebendig werden und erinnerte vor allem in den mystischen Momenten an das Genre des Progressive Rock. Es wurde vom Publikum erst nach zwei Zugaben entlassen, dem „Danse Bohémienne“ und einem noch einmal mitreißenden „Russian Sailors’ Dance“. Konzertsprecher Georg Götzelmann trug mit gewitzter Moderation zum Gelingen des Abends bei. Zudem bezog er auf humorvolle Weise mehrfach Stellung gegen Pegida, AfD und ihresgleichen.