Von Ingrid Knack
BACKNANG. Bahnhöfe. Was sich an diesen Orten nicht schon alles abgespielt hat. Glückseligkeit beim Ankommen, Tränen oder auch hoffnungsfrohes Erwarten auf die Entdeckung neuer Welten beim Abschied. Freud und größtes Leid – man denke nur an die Nazizeit – liegen dort ganz eng beieinander. Bahnhöfe stehen für Heimat und Fremde, Gegensätze prallen aufeinander. Heute werden Bahnhöfe etwa als Einkaufstempel gepriesen, sind Kulturdenkmale oder werden zu ungeliebten Stationen, die mit Streik oder Verspätungen verbunden werden. Ob positiv oder negativ – Bahnhöfe haben das Zeug, Emotionen besonders hochkochen zu lassen, sie graben sich in die eigene Vita ein.
Auch der einstige Backnanger Bahnhof spielt in der lokalen Geschichte nicht nur eine baugeschichtliche Rolle. Dort kamen beispielsweise vor rund 50 Jahren Franzosen aus Annonay an, die später zu Freunden werden sollten. Die Bilder solcher Ereignisse zeigen noch das alte Gebäude, das wir heute als schön empfinden. Eine Ansicht, mit der man in den 1960er-Jahren ziemlich allein auf weiter Flur gestanden wäre. Leser beklagten sich damals in Zuschriften an die BKZ über den „unhaltbaren Zustand“ des Bahnhofs. „In all diesen Briefen war die Frage gestellt worden, wann der schon längst geplante und angekündigte, dann aber immer wieder verschobene Neubau eines Bahnhofs verwirklicht wird“, ist in der BKZ vom 24. Februar 1968 zu lesen.
In dem Artikel wird auch der damalige Oberbürgermeister Martin Dietrich zitiert, der den seinerzeitigen Präsidenten der Bundesbahndirektion Stuttgart, Dr. Ziller, in einem Brief wissen ließ, er habe bei einer Reise nach Frankreich die Vorzüge der Bahn erneut schätzen gelernt. „Leider ist in das Gefäß der Hochachtung bei der Rückkehr nach Backnang ein Wermutstropfen gefallen, und zwar in Form einer kalten Dusche im wahrsten Sinne des Wortes, die ich im Bahnhof bekam. Ich habe es zuerst gar nicht fassen wollen, dass es von der Bahnhofsdecke auf die Benutzer nur so herabgeregnet hat – so undicht war sie. Ich pflege Unzulänglichkeiten des Alltags meistens von der heiteren Seite zu nehmen, aber im Bahnhof Backnang wäre mir fast der Hut hochgegangen, wenn nicht einer der von der Decke fallenden Wasserstrahlen dies verhindert hätte.“ Wenngleich Ziller dieses „Missgeschick“ des Backnanger Oberbürgermeisters darauf zurückführte, dass „ein Unbekannter einen Wasserhahn in dem über dem Durchgang liegenden Treppenhaus geöffnet habe“, wie es in dem Artikel heißt, bleiben doch unverrückbare Tatsachen. In seinem Brief an Ziller hatte Dietrich zudem geschrieben: „Was sich hier dem Auge an Verrottung bietet, ist sicher einmalig.“ Doch so schnell, wie ursprünglich geplant, wurde es denn doch nichts mit dem Bahnhofsneubau. Und die Stadtoberen hatten sich mit der finanziellen Beteiligung Backnangs an dem Neubau und dem Ausbau des Vorplatzes zu befassen. 1964 standen 700000 Mark im Raum, zu zahlen in 10 Jahresraten von je 70000 Mark, wozu sich die Stadt nicht in der Lage sah. 1969 ging es dann um 400000 Mark – zu zahlen in vier Jahresraten. In einer Gemeinderatsitzung schlug die Verwaltung vor, das Projekt eventuell durch die Anhebung der Grundsteuer A und B um je 20 Prozent zu finanzieren.
Wieder gingen zwei Jahre ins Land, die Backnanger Bürger und die über 8000 Fahrgäste täglich empfanden die „jetzigen Verhältnisse als eine Zumutung“ (BKZ vom 25. März 1971). Wieder schrieb Dietrich einen geharnischten Brief an die Bahn, diesmal an den Präsidenten der Deutschen Bundesbahn, Professor Dr. Oeftering in Frankfurt. Unverständnis zeigte der OB über die ständige Verschiebung des Baubeginns seit 1966.
Nach langem Hin und Her konnte im August 1975 dann doch ein neuer Bahnhof eingeweiht werden. Bei zwei Tagen der offenen Tür wurden rund 18000 Besucher gezählt.
Thema der Ausstellung von Peter Wolf ist aber vor allem der alte Backnanger Bahnhof. Ein Exponat ist eine Bauzeichnung der Fassade aus dem Jahr 1876, die aus dem Staatsarchiv in Ludwigsburg stammt. Auch eine unverbindliche Ideenstudie für die jetzt diskutierte Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes aus dem Jahr 2012 findet sich in der Ausstellung.
Obendrein vermittelt die Schau einen Eindruck vom Leben anno dazumal rund um den Backnanger Bahnhof. Da entdeckt man auf einem Foto aus dem Jahr 1933 eine Personengruppe. Wolf: „Es sind einige bekannte Namen dabei.“ Ein anderes Bild zeigt Arbeiter, die auf dem Güterbahnhof von einem Waggon Rinde abladen, die in den Backnanger Gerbereien zum Gerben gebraucht wurde (Lohe). Deutlich wird auch, dass zu diesen Zeiten viel mehr Menschen als heute im Backnanger Bahnhof gearbeitet haben. Wenngleich der alte Backnanger Bahnhof in seinen letzten Jahren mit vielen Schimpfworten bedacht wurde, so ist der nostalgische Blick auf das Bauwerk und die Zeit damals sehr reizvoll.
Die von Peter Wolf konzipierte Ausstellung im Helferhaus-Kabinett ist ab 23. Februar dienstags bis freitags von 17 bis 19 Uhr und samstags und sonntags von 14 bis 19 Uhr geöffnet.