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Bild-Text-Tafeln in der Friedhofkapelle

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BACKNANG (eh). Das Anliegen des Arbeitskreises „Erinnern und Gedenken“ unter der Leitung von Dr. Roland Idler im Heimat- und Kunstverein Backnang, der sich aus dem Förderverein Backnanger Friedhofkapelle gebildet hat, liegt darin, die neu geschaffene Erinnerungsstätte an die Backnanger Toten zwischen 1933 bis 1945 mit Ausstellungen und Veranstaltungen zum Thema „Erinnern und Gedenken“ zu beleben. Obendrein soll ein neuer Ort der Begegnung geschaffen werden.

Einen Anlass dafür bietet die Wiederkehr der Befreiung des Konzentrationslagers von Auschwitz am 27. Januar 1945 durch die Rote Armee. „Sich einer solchen Thematik aufgrund ihrer komplexen Verwerfungen und Problematik anzunehmen, ist nicht einfach und in sich schuldbeladen, zumal in Auschwitz und der damit verbundenen ,Fabrikation von Leichen‘ alle ethisch-moralischen Grenzen der menschlichen Gattung und Zivilisation vom NS-Regime und seiner mörderischen Rassenideologie überschritten wurden“, schreibt Heimat- und Kunstvereinsvorsitzender Hövelborn dazu in einer Pressemitteilung. Daher habe der Arbeitskreis es als sinnvoll erachtet, die Situation von Auschwitz in Relation zu etwas anderem zu setzen. In diesem Zusammenhang habe sich Dante und besonders seine Schilderung der Hölle als Ort größter Trostlosigkeit und Verlorenheit angeboten.

Der fundamentale Unterschied bestehe jedoch darin, dass in Dantes Hölle die Sünder ihrer gerechten Strafe zugeführt werden, während in Auschwitz unschuldige Menschen fabrikmäßig ausgelöscht, das heißt in Asche und Rauch verwandelt wurden. Ihr „Verbrechen“ bestand im Grunde nur darin, einer anderen Rasse anzugehören und als ein „Versehen oder Anomalie des Lebensprinzips“ als Nichtangehörige der arischen Rasse zu existieren und ihr Leben, wie Loytard dies beschreibt, nach der Ideologie der damaligen Machthaber daher ausgemerzt werden musste. Insofern seien die Lager Teil der Säuberungsaktionen der NS-Diktatur als Bio-Macht im Sinn der Rassenhygiene gewesen.

Weiter führt Hövelborn aus: Beide – die Hölle, wie sie Dante beschreibt, und die Zustände in Auschwitz – haben mit Gewaltaktionen zu tun, sodass ins Bildgeschehen dieses Element der Gewalt eintritt. Man spricht von der Hölle in Auschwitz, und mit dieser Hölle verbindet sich auch die Frage nach der göttlichen Gerechtigkeit, der Theodizee: Wie kann Gott so etwas zulassen? Die Hölle Dantes dagegen ist ein Geschöpf göttlicher Weisheit und damit gerechtfertigt.

Im Prinzip sei Erinnern und Gedenken nicht immer erbaulich, sondern könne, wie im Hinblick auf Auschwitz, belastend sein. Norbert Elias schrieb zum 40. Jahrestag des Kriegsendes im Jahr 1985, er würde gerne sagen, dass alles, die Verbrechen und Schrecken der Hitlerzeit, nach vierzig Jahren oder mehr vergessen seien. Dies sei aber angesichts der Monströsität der Vorgänge in dieser Zeit nicht möglich. Wobei die Trauer mehr eine persönliche und weniger eine kollektive sei.

Die Bild-Texttafeln in der Friedhofkapelle nehmen diese Thematik auf. In ihrer Grundkonzeption hat sie Ernst Hövelborn angelegt. Überarbeitet und künstlerisch ausgestaltet wurden sie von den Mitgliedern der Backnanger Künstlergruppe Ernst Keller und Herbert Seybold, hinzu kam obendrein Clemens Hövelborn. Die Künstler unternehmen in einer Mischung von Bild und Text den Versuch, Auschwitz und Dantes Inferno, aber auch den Begriff der Pflicht, wie ihn Kant formulierte, oder die Frage der Transzendenz bei Heidegger, jeweils in Bezug zum Purgatorium und dem Paradies zu setzen. Ergänzend zu den Bildtafeln liegt noch ein Text aus, der inhaltlich Bezug zu den Bild-Texttafeln nimmt, beziehungsweise deren Inhalt darstellt.

Die Ausstellung mit den Bild-Texttafeln ist ab Mittwoch, 27. Januar, in der Friedhofkapelle zu sehen. Sie kann während der Öffnungszeiten der Kapelle täglich von 8 bis 18 Uhr bis Sonntag, 13. März, in nachdenklicher Ruhe und in der Stille betrachtet werden. Der Anlass und das Geschehen als solches, die Befreiung von Auschwitz und die Aufdeckung unvorstellbarer Menschheitsverbrechen durch die NS-Gewaltherrschaft, vertragen nach Meinung des Arbeitskreises angesichts der Leiden der Opfer im Grunde keine öffentlichen Reden oder gar eine Ausstellungseröffnung im herkömmlichen Sinne.

Auch darüber machten sich die Künstler Gedanken: Inwieweit Ästhetik Erinnerungsarbeit leisten oder gar Betroffenheit herstellen kann, bleibt auch für die Verantwortlichen der Aktion fraglich, „zumal Schiller die Aufgabe der Kunst darin sah, die Menschen im Schönen zu vereinen und zu harmonisieren“, wie es in der Pressemitteilung heißt. Des Weiteren gelte auch der Satz von Goethe: „Was uns in Wirklichkeit verdrießt, im Bilde man es genießt.“ Das heißt, dass selbst das Schreckliche im Bild eine ästhetische Form annehme und somit Genuss vermittele. In diesem Zusammenhang steht auch die Aussage von Rilke in seinen Duineser Elegien: „Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang“.

Hövelborn: Insofern besitzen Denkmale und Gedenkstätten als Werke der Kunst und Architektur eine ästhetische Form, die durchaus unabhängig vom Anlass der Erinnerung oder des Gedenkens ästhetisch, das heißt formal gelungen wirkt. „Diese Dialektik, als innerer Widerspruch oder im Sinne Hegels als konkrete Allgemeinheit, findet sich bei all diesen Einrichtungen und auch in den zu dem aktuellen Anlass der Befreiung von Auschwitz ausgestellten Bild-Text-Tafeln in der Friedhofkapelle.“

„Die Hölle von Auschwitz und das Paradies von Dantes Göttlicher Komödie“. Collage und Malerei von Clemens und Ernst Hövelborn. Foto: P. Wolf

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